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Samstag, 19. Juli 2025

Prof. Dr. Marco Wilkens: Wie Finanzmärkte die Transformation zur Nachhaltigkeit beeinflussen

Das vollständige Gespräch mit Prof. Dr. Marco Wilkens auf YouTube.


Vom Sparkassen-Azubi zum Finanzprofessor

Prof. Dr. Marco Wilkens leitet den Lehrstuhl für Finanz- und Bankwirtschaft an der Universität Augsburg. Seine akademische Laufbahn begann nach einer Sparkassenausbildung mit einem Studium in Hamburg, führte ihn über Göttingen und Ingolstadt nach Augsburg. Heute ist er u. a. im Vorstand des Zentrums für Klimaresilienz und Mitglied der Wissenschaftsplattform Sustainable Finance. Seine Forschung konzentriert sich auf nachhaltige Finanzmärkte und deren Einfluss auf die Realwirtschaft.


Haben Investoren wirklich Einfluss?

Ein zentrales Thema im Gespräch: Können Investoren die Wirtschaft nachhaltiger machen? Wilkens unterscheidet zwischen realwirtschaftlichen Investitionen (z. B. Solaranlage aufs Firmendach) und Finanzinvestitionen (z. B. Kauf eines Aktienfonds). Dabei betont er drei zentrale Wirkungskanäle nachhaltiger Finanzprodukte:

  1. Engagement: Investoren nutzen Stimmrechte, etwa auf Hauptversammlungen (Voting) oder im direkten Dialog mit Unternehmen (Voicing).

  2. Kapitalumschichtung: Wenn viele Investoren „braune“ (nicht nachhaltige) Aktien meiden und „grüne“ kaufen, steigen die Preise nachhaltiger Unternehmen, was deren Finanzierung erleichtert.

  3. Desinvestment (Divestment): Der Verkauf umweltschädlicher Aktien kann Signalwirkung entfalten – und Wilkens’ Forschung zeigt, dass das auch tatsächlich geschieht.


Wissenschaftlich nachgewiesen: Divestment wirkt

Eine vielzitierte Studie von Wilkens und seinem Team zeigt erstmals empirisch, dass Unternehmen, aus denen viele Fonds gleichzeitig desinvestieren, einen signifikanten Kursrückgang erleiden – und dass sie ihr Verhalten tatsächlich ändern: Ihr CO₂-Ausstoß sinkt messbar stärker als bei Vergleichsunternehmen. Der Effekt ist zwar nicht dramatisch, aber nachweisbar. Diese Forschung wurde von der Stiftung Mercator unterstützt, wobei Wilkens betont, dass die wissenschaftliche Unabhängigkeit stets gewahrt blieb.


ESG-Ratings und EU-Taxonomie: Orientierung oder Wildwuchs?

Ein weiteres Thema ist die Bewertung der Nachhaltigkeit von Unternehmen. ESG-Ratings (Environmental, Social, Governance) sind verbreitet, aber in ihrer Aussagekraft oft widersprüchlich. Unterschiedliche Agenturen kommen zu stark abweichenden Einschätzungen. Wilkens sieht in der EU-Taxonomie einen Versuch, hier mehr Einheitlichkeit zu schaffen. Diese listet wirtschaftliche Aktivitäten, die zur nachhaltigen Transformation beitragen – etwa bestimmte Gaskraftwerke oder Atomenergie unter engen Auflagen. Auch wenn politische Kompromisse eine Rolle spielen, sieht Wilkens in der Taxonomie ein wichtiges, EU-weit einheitliches Werkzeug.


CO₂-Preis, Zertifikate und externe Kosten

Ein großer Teil des Gesprächs widmet sich der Internalisierung externer Kosten – vor allem durch CO₂-Bepreisung. Wilkens verweist auf das Prinzip der Pigou-Steuer (100 Jahre alt), bei dem Unternehmen für die von ihnen verursachten gesellschaftlichen Kosten zahlen sollen. Das europäische Emissionshandelssystem (ETS) ist ein anderer Weg: Durch ein CO₂-Budget und handelbare Zertifikate soll die Gesamtmenge an Emissionen gedeckelt werden.

Interessanter Befund aus Wilkens' aktueller Forschung: Rund 40 % des heutigen Unternehmenswerts bestehen im Schnitt aus „nicht bezahlten“ zukünftigen Umweltschäden. Würden diese Kosten korrekt eingepreist, wären die Firmen also massiv weniger wert.


Wissenschaft zwischen Erkenntnis und politischer Realität

Zum Schluss geht es um politische Umsetzbarkeit: Soll man CO₂ über Budgets oder über Senken begrenzen? Wilkens verweist auf die praktische Notwendigkeit, politische Mehrheiten zu organisieren. Die Unsicherheiten über „richtige“ CO₂-Preise (die Schätzungen reichen von 70 € bis über 1000 € pro Tonne) erschweren klare politische Vorgaben. Dennoch: Ein funktionierender Zertifikathandel mit echtem Cap (Obergrenze) könne viel bewirken – vorausgesetzt, die Politik bleibt standhaft.


Sie finden alle Videos unter:
https://energiespeicher.blogspot.com/p/energiegesprache-mit-eduard-heindl.html

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