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Samstag, 25. Januar 2025

Mario Liebensteiner im Energiegespräch

Prof. Dr. Mario Liebensteiner im Energiegespräch

Das vollständige Gespräch mit Prof. Dr. Mario Liebensteiner finden sie bei YouTube

1. Einleitung: Höhere Strompreise und neue Herausforderungen

Das zentrale Ergebnis des Gesprächs zwischen Prof. Heindl und Prof. Dr. Mario Liebensteiner lautet: In den kommenden Jahren bis 2030 dürfte der Strompreis in Deutschland und Europa voraussichtlich deutlich höher liegen als vor der Energiekrise – etwa um den Faktor drei. Zusätzlich wird die Preisdynamik zunehmen, was zu einer stärkeren Volatilität führt. Dahinter stehen mehrere Ursachen:

  1. Wegfall günstiger Kraftwerke
    Nach dem Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland und den geplanten Stilllegungen von Kohlekraftwerken entfällt ein Teil grundlastfähiger, verhältnismäßig preisgünstiger Stromerzeugung.
  2. Steigende Brennstoff- und CO₂-Kosten
    Die Kosten für Gasimporte sind nach der Abkehr von russischem Pipeline-Gas tendenziell höher, und die CO₂-Preise im europäischen Emissionshandel (EU ETS) dürften weiter anziehen.
  3. Zunahme wetterabhängiger Erzeugung
    Der Anteil von Wind- und Solarstrom steigt stark, was bei gleichzeitig fehlendem adäquatem Netzausbau zu kräftigen Preisschwankungen führen kann.

Liebensteiner betont, dass insbesondere die Volatilität des Börsenstrompreises – also starke Schwankungen zwischen sehr niedrigen (teilweise sogar negativen) und sehr hohen Werten – in Zukunft noch ausgeprägter sein werde. Für Unternehmen wie auch für Privathaushalte werde das größere Flexibilität bedeuten: Wer zum Beispiel Lasten verschieben kann oder eigene Speicherkapazitäten besitzt, wird Vorteile haben.


2. Marktmechanismen: Merit-Order, Börsenpreis und negative Preise

Ein zentrales Thema des Gesprächs ist das „Merit-Order“-Prinzip, das im öffentlichen Diskurs häufig kritisiert wird. Prof. Liebensteiner stellt jedoch klar, dass dies ein normales marktwirtschaftliches Verfahren ist, bei dem das zuletzt noch benötigte Kraftwerk mit den höchsten Grenzkosten den allgemeinen Börsenpreis setzt. Die wichtigsten Punkte:

  • Merit-Order als Standard
    Ob Weizen oder Strom: In allen börslichen Märkten wird nach dem Grundsatz „von billig zu teuer“ angeboten. Das letzte, zur Bedarfsdeckung herangezogene Angebot bestimmt den Preis für alle Anbieter, was keinesfalls eine Strommarkt-Spezialität, sondern ein generelles Marktprinzip ist.

  • Erneuerbare als Grenzkosten-Null-Technologien
    Wind- und PV-Anlagen haben sehr geringe laufende Brennstoffkosten (die „Sonne schickt keine Rechnung“). Sie bieten daher zu niedrigen Preisen an und drücken so häufig das Strompreisniveau. Allerdings ist ihre Verfügbarkeit wetterabhängig – fehlt Wind oder Sonne, steigen die Preise, weil dann teure Reservekraftwerke (häufig Gaskraftwerke) zum Einsatz kommen.

  • Negative Preise
    Negative Strompreise entstehen zu Zeiten eines Überangebots, etwa wenn extrem viel Strom aus Wind- oder Solaranlagen produziert wird, während die Nachfrage gering ist und einige Kraftwerke (etwa Kohleblöcke) aus technischen Gründen nicht schnell heruntergefahren werden können. Dann erhalten Abnehmer Geld dafür, dass sie den Strom abnehmen. Allerdings profitieren davon in der Praxis weniger Haushalte als vielmehr Akteure im Großhandelsmarkt.

  • Volatilität durch fluktuierende Erzeugung
    Weil erneuerbare Energien kein Grundlastverhalten aufweisen, entstehen stark schwankende Preise – an windstarken Tagen mit geringem Bedarf tendieren die Börsenpreise nach unten, während sie in wind- und sonnenarmen Zeiten hochschnellen können.


3. Netzausbau, Kapazitätsmärkte und das Problem der Versorgungssicherheit

Wenn Kohle- und Kernkraftwerke vom Netz gehen und Gaskraftwerke oft nur wenige Stunden im Jahr laufen sollen, um Spitzenlasten auszugleichen, stellt sich die Frage nach Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit. Wesentliche Punkte:

  • Netzengpässe und Redispatch
    Obwohl viel Strom aus dem windreichen Norden stammt, fehlen ausreichende Leitungen in den verbrauchsstarken Süden. Bei Überlastung müssen Windanlagen abgeregelt werden („Abregelung“), während man im Süden Kohlestrom anwirft. Das führt zu paradoxen Situationen, in denen trotz Überangebots im Norden teure und emissionsintensive Kraftwerke im Süden laufen. Ein grundsätzlicher Umbau des Marktdesigns in verschiedene Preiszonen wäre denkbar, ist politisch aber umstritten.

  • Kapazitätsmarkt vs. Energy-Only-Markt
    Gegenwärtig herrscht der „Energy-Only-Markt“: Ein Kraftwerksbetreiber verdient nur dann Geld, wenn er Strom produziert und verkauft. Gaskraftwerke, die nur wenige Tage oder Stunden laufen, müssten bei hohen Börsenpreisen ihre gesamten Fixkosten decken können, damit sich die Investition lohnt. Das würde extrem schwankende – bisweilen sehr hohe – Preise bedeuten. Aus politischen Gründen könnte ein „Kapazitätsmarkt“ eingeführt werden, bei dem Stromerzeuger eine Prämie allein für das Bereithalten (die Kapazität) erhalten. Dies verringert Preisextreme, ist aber weniger markteffizient und verursacht zusätzliche Kosten.

  • Stromausfallrisiko und Versicherungsmodelle
    In der Diskussion wurde auch erörtert, ob man den Blackout über Versicherungsmodelle in private Verantwortung legen könnte. Derzeit lösen jedoch staatliche Netzbetreiber und Regulierung diese Aufgabe. Für Großverbraucher wie Aluminiumwerke existieren bereits Entschädigungsmodelle, wenn sie den Verbrauch bei Engpässen drosseln („Demand-Side-Management“).


4. Klimapolitik, CO₂-Bepreisung und internationale Wechselwirkungen

Das Gespräch widmete sich außerdem der europäischen Klimapolitik: Ob CO₂-Handel oder CO₂-Steuer, ob Subventionen für erneuerbare Energien oder Effekte des sogenannten grünen Paradoxons – das Zusammenspiel von Markt und Regulierung ist hochkomplex.

  • EU-Emissionshandel und „Wasserbetteffekt“
    Innerhalb des EU-ETS (Emissionshandelssystems) existiert ein oberes Limit (Cap) für die Gesamtmenge an Emissionen. Wer CO₂ verursacht, muss ein Zertifikat erwerben. Gleichzeitig führt jede zusätzliche freiwillige Emissionsminderung in einem Land nur bedingt zu einer Minderung auf EU-Ebene, da die frei werdenden Emissionszertifikate in anderen Sektoren oder Ländern genutzt werden können (Wasserbetteffekt). Freiwilliger Klimaschutz in Deutschland hat also innerhalb des EU-ETS nur begrenzte Wirkung.

  • Grünes Paradoxon nach H.-W. Sinn
    Global betrachtet kann ein sinkender Verbrauch in Europa den Ölpreis senken und damit die Ölnachfrage in anderen Weltregionen erhöhen, wenn das Angebot sich nicht entsprechend verringert. Dieses Phänomen spricht dafür, dass nationale Alleingänge wenig globale CO₂-Einsparungen bewirken, solange kein weltweit koordinierter Emissionspfad existiert.

  • Kostendegression bei Solartechnik
    Ein positiver Effekt des deutschen EEG-Systems war allerdings, dass die internationale Photovoltaik-Herstellung stark skaliert und die Preise für Solarzellen drastisch gesunken sind. Damit wird diese Technologie für Schwellen- und Entwicklungsländer erschwinglich. Allerdings ist unklar, ob und in welchem Ausmaß das allein die globale Energiewende beschleunigt, solange fossile Energieträger weiter verfügbar und preisgünstig sind.

  • Rolle der Kernenergie
    Während Deutschland aus der Kernenergie ausgestiegen ist, setzen Nachbarstaaten wie Frankreich oder Polen auf Neu- oder Ausbau von Atomkraftwerken. Auf dem europäischen Strommarkt könnte das den Börsenstrompreis tendenziell senken. Deutschland profitiert dann als Stromimporteur von preiswertem Atomstrom, ohne die Risiken der eigenen Kernkraftnutzung zu tragen. Langfristig jedoch bleibt die Frage der Endlagerung und der Akzeptanz bestehen.


5. Perspektiven: Vom Smart Meter bis zur zukünftigen Preisgestaltung

Smart Meter und flexible Tarife
Eine wesentliche Diskussion betrifft die Frage, wie Endkunden – insbesondere Haushalte – durch Preissignale zu einem zeitlich angepassten Stromverbrauch animiert werden können. Mit Smart Metern und dynamischen Tarifen könnte man Spitzenlasten glätten und mittags bei hoher Solarproduktion günstigen Strom verbrauchen, während abends oder an windstillen Tagen höhere Preise gelten. Dazu ist eine Anpassung der Netzentgelte nötig, denn derzeit machen Steuern, Abgaben und Fixkosten den größeren Teil des Strompreises aus, während die rein marktbasierten Energiekosten oft nur ein Viertel oder ein Drittel ausmachen.

Zunehmende Bedeutung von Speicher und Eigenversorgung
Um in Zeiten negativer oder sehr niedriger Preise Strom aufzunehmen und ihn bei hohen Preisen abzugeben, könnten Speicher – von Batteriespeichern bis zu potenziellen Wasserstoffanlagen – wirtschaftlich interessanter werden. Darüber hinaus besteht weiterhin Handlungsbedarf beim Netzausbau, um Transportengpässe zu beheben, sowie in der europäischen Koordination, damit grenzüberschreitende Lieferungen effizienter ablaufen.

Fazit
Das Gespräch zwischen Prof. Heindl und Prof. Dr. Liebensteiner verdeutlicht, wie stark die Energiewelt bereits im Umbruch ist. Obwohl erneuerbare Energien auf dem Vormarsch sind, wird der Durchschnittsstrompreis absehbar steigen, da flexibel einsetzbare Kraftwerke – vor allem Gas- oder später wasserstoffbetriebene Anlagen – die Versorgungssicherheit gewährleisten müssen. Die politischen Diskussionen bewegen sich zwischen Marktlösungen und staatlicher Regulierung, etwa über Kapazitätsmärkte und Subventionen. Für Verbraucher wie Industrie ist eine steigende Preisdynamik zu erwarten, die nicht nur Anpassungsdruck, sondern auch Chancen für innovative Geschäftsmodelle und Technologien schafft. Mittel- bis langfristig bleibt der Ausbau der erneuerbaren Energien, kombiniert mit Flexibilität und Speichertechnologien, der Schlüssel für eine bezahlbare und nachhaltige Stromversorgung – nur wird dies teurer und komplizierter, als noch vor wenigen Jahren angenommen.

Die vollständige Liste aller Energiegespräche finden Sie hier: https://energiespeicher.blogspot.com/p/energiegesprache-mit-eduard-heindl.html


Samstag, 18. Januar 2025

Tom Klein im Energiegespräch

Zusammenfassung des Energiegesprächs mit Tom Klein

Das vollständige Energiegespräch mit Tom Klein auf YouTube.

1. Tom Kleins Weg von Kanada nach Deutschland

Tom Klein, geboren und aufgewachsen in Toronto, kommt als Kind von deutschen Auswanderern bereits früh mit der deutschen Sprache und Kultur in Kontakt. Obwohl er in Kanada zunächst eine akademische Laufbahn einschlägt – studiert u. a. Psychologie, Politik, Philosophie und Literatur und doziert an der Universität – zieht es ihn 1989 nach Deutschland. Hierzulande findet er schließlich sein berufliches Zuhause als Coach und Transformationsberater für Unternehmen.
Seine Entscheidung, Kanada zu verlassen, ist vorwiegend durch ein anhaltendes Gefühl geprägt, in Nordamerika „anders“ zu sein. Dieses „Anderssein“ führt er auf die kulturelle Prägung durch seine Eltern und deren Sprache zurück. Anders als viele Akademiker in Deutschland, die klassisch „topdown“ unterrichten, versucht er stets, sein Wissen in partizipativen Lehr- und Coaching-Formen zu vermitteln. Seine berufliche Tätigkeit ermöglicht es ihm, Elemente beider Kulturen zu verbinden: die Offenheit und Dynamik Kanadas mit der gründlichen, strukturierten Denkkultur Deutschlands.

2. Was ist Transformation? – Zwischen evolutionärer Verbesserung und Systemwechsel
Ein zentrales Motiv in Tom Kleins Arbeit ist die Begleitung und Initiierung von Transformationsprozessen. Er unterscheidet dabei zwischen Veränderungen „erster Ordnung“ und Veränderungen „zweiter Ordnung“. Letztere beschreibt er als systemische Transformation: Sie erfordert das Loslassen alter Muster, um gänzlich neue Wege zu gehen. Genau darin liegt die eigentliche Herausforderung für Unternehmen, aber auch für politische Systeme.
In seinen Ausführungen wird deutlich, wie oft Veränderungsbemühungen in Unternehmen an widerstrebenden Strukturen oder festgefahrenen Denkmustern scheitern. Etwa wenn eine IT-Abteilung bereits agil und schnell reagieren möchte, aber Controlling, Personalwesen (HR) und Vorstand nach wie vor klassisch-hierarchische Methoden anwenden. Das Resultat sind oftmals Blockaden und Inkompatibilitäten. Klein betont, dass ein wahrer Transformationsimpuls zwar häufig „top down“ initiiert wird, die eigentliche Dynamik jedoch von unten her – also „bottom-up“ – wachsen muss.

3. Digitale Disruption, Unternehmenskultur und politische Steuerung
Ein Schlüsselbeispiel für tiefgreifende Transformationen bildet die Autoindustrie: Lange Zeit galten deutsche Hersteller weltweit als vorbildlich für Ingenieurskunst und Qualitätsstandards. Doch mit dem Aufkommen von Tesla sowie digitaler Vernetzung und Software-getriebenen Geschäftsmodellen haben viele deutsche Autobauer den Anschluss an neue Technologien, insbesondere die Digitalisierung, verschlafen. Die bestehenden linearen Denk- und Planungsprozesse – basierend auf inkrementellen Verbesserungen – treffen auf eine exponentielle Veränderungsgeschwindigkeit, der mit herkömmlichen Methoden kaum beizukommen ist.
Klein verweist auf die Versäumnisse in Deutschland, die bereits mit dem Internet- und Laptop-Boom begannen. Die großen Hardware-Wellen, Social-Media-Plattformen und nun die dritte Welle Künstlicher Intelligenz fanden und finden meist anderswo statt. Obwohl hierzulande Spitzenforschung betrieben wird, fehlt häufig das politische und wirtschaftliche Ökosystem, um aus Innovation auch marktstarke Produkte zu formen. Deutlich wird zudem, dass Kontrollbestrebungen seitens Politik und Management – etwa durch immer neue Kennzahlen, Auflagen und Verbote – in Zeiten hoher Komplexität kontraproduktiv sein können. Sie erzeugen mehr Gegenkräfte und lähmen die eigentliche Vitalität und Innovationskraft der jeweiligen Organisation oder Gesellschaft.

4. Energiepolitik und deutsche Industrie: Ein kritischer Blick
Im Gespräch geht es ausführlich um die deutsche Energiewende. Aus Kleins Sicht krankt sie an einem angstgetriebenen Narrativ und einem autoritär anmutenden Vorgehen von oben. Statt einer praxisorientierten „Phasen-Lösung“ mit parallel voranschreitendem Ausbau verschiedener Technologien (einschließlich Kernenergie als emissionsarme Grundlastquelle) habe Deutschland auf einen radikalen Ausstieg aus der Kernkraft gesetzt. Gleichzeitig bleiben zentrale Fragen der Netzstabilität und bezahlbaren Energie ungelöst.
Das Resultat seien hohe Strompreise und Unsicherheit: Wichtige Industrien wie Chemie, Stahl, Automobilproduktion und Maschinenbau – alle basierend auf günstiger und verlässlicher Energie – geraten zunehmend unter Druck. Als besonders problematisch beurteilt Klein, dass eine Vielzahl der neuen Technologien (Solaranlagen, Batterien etc.) nicht in Deutschland, sondern im Ausland hergestellt wird. Damit ist kein nationaler Aufschwung verbunden, sondern oftmals eine Netto-Belastung durch teure Importe und zusätzliche Verschuldung für Subventionen.
Daran zeigt sich nach Kleins Einschätzung auch ein Mangel an angemessenem Umgang mit Komplexität: Ein (politischer) Glaube, durch immer mehr Vorschriften und Verbote könne man Großsysteme wie Wirtschaft und Gesellschaft kontrollieren, offenbart sich in der Praxis als Irrglaube. Es fehle an pragmatischen, gestaltenden Impulsen und einer breiten Einbindung sämtlicher Akteure.

5. Chancen, Risiken und Perspektiven – Vom Freiraum zur Vitalität
Trotz der kritischen Diagnose benennt Klein Ansätze, die Mut machen können. Er greift das Bild einer „somatischen Psychologie“ auf, nach der jedes System – ob Mensch, Unternehmen oder Gesellschaft – grundsätzlich voller Vitalität ist. Die entscheidende Frage lautet: „Wie viel Kraft, wie viel Vitalität ist das System bereit auszuhalten?“
Dafür müssten jedoch „Pflöcke der Kontrolle“, also überbordende Vorschriften und Angst-gesteuerte Verbotsmentalität, gelockert oder beseitigt werden. Statt topdown-Steuerung und rigoroser Markteingriffe bräuchte es Raum für Experimente, dezentrale Innovation und pragmatische Umsetzungen. Im Idealfall setzt man gezielt Anreize (z. B. kostengünstiger Strom, steuerliche Erleichterungen für Forschung), ohne die Wirtschaft mit Verboten und Bürokratie zu ersticken.
Gerade in hochkomplexen Fragestellungen wie der Klimapolitik oder Digitalisierung plädiert Klein für eine verantwortungsvolle, aber weniger angstgeleitete Haltung: Der Staat solle eher Impulse anstoßen, Rahmenbedingungen vereinfachen und „Sammelbewegungen“ erlauben, bei denen Forschung, Industrie und Gesellschaft gemeinsame Visionen entwickeln. Verbote und strenge Kontrolle seien langfristig kontraproduktiv und würden Abwanderung, Populismus und Spaltung fördern.

Abschließend bleibt der Appell, dass es möglich ist, Transformationsprozesse zum Gelingen zu bringen. Hierfür müssten einerseits Politik und Verwaltung ihre allzu enge Steuerungsmentalität aufgeben, andererseits Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen die Verantwortung für Gestaltung und Innovation selbstbewusster annehmen. So wie der einzelne Mensch durch riskante Erfahrungen wachsen kann, so können Wirtschaft und Gesellschaft jenseits starrer Vorschriften eine neue Form von Vitalität erlangen – sofern man sie lässt.

Die vollständige Liste aller Energiegespräche finden Sie hier: https://energiespeicher.blogspot.com/p/energiegesprache-mit-eduard-heindl.html

Samstag, 7. September 2024

Dirk Specht

 Gespräch mit Dirk Specht 

Das Gespräch mit Dirk Specht, einem Experten in verschiedenen Branchen und einem erfahrenen Aufsichtsratsmitglied, bietet eine tiefgehende Analyse der aktuellen Herausforderungen und Chancen, insbesondere in Bezug auf Energiepolitik, Technologieentwicklung und strategische Entscheidungen. Im Folgenden werden die wichtigsten Themen und Erkenntnisse aus dem Gespräch zusammengefasst.

Das vollständige Gespräch mit Dirk Specht auf YouTube


Einleitung: Hintergrund und Expertise

Dirk Specht ist ein vielseitiger Experte, der in verschiedenen Branchen als Geschäftsführer und Vorstand tätig war. Er hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit dem Thema Energie auseinandergesetzt, was durch seine Rolle in einem Aufsichtsratsmandat angestoßen wurde. Seine anfängliche Skepsis gegenüber erneuerbaren Energien wandelte sich, als er die technologischen Fortschritte in der Wind- und Solarenergie erkannte.

Energiepolitik und globale Trends

Specht analysiert die aktuelle Energiepolitik in Deutschland und Europa und stellt fest, dass viele Diskussionen über Energiepreise und Versorgungssicherheit mehr mit Marktstrukturen und politischen Maßnahmen als mit der eigentlichen Technologie zu tun haben. Er weist darauf hin, dass die Energiepreise global sinken und die Versorgungssicherheit durch erneuerbare Energien verbessert wird. Er betont die Notwendigkeit, sich an globalen Benchmarks zu orientieren und die strukturellen Unterschiede zwischen Regionen zu berücksichtigen.

Die Zukunft der Energieversorgung

Ein zentrales Thema des Gesprächs ist die Zukunft der Energieversorgung. Specht betont, dass die Herausforderung nicht nur darin besteht, erneuerbare Energien zu fördern, sondern auch die gesamte Infrastruktur und die Systemkosten zu berücksichtigen. Er hebt hervor, dass in den USA und China pragmatisch vorgegangen wird, indem neue Technologien inkrementell eingeführt und bestehende Strukturen schrittweise angepasst werden. Europa hingegen neigt dazu, langfristige Pläne zu erstellen, ohne die Flexibilität zu haben, auf technologische Entwicklungen schnell zu reagieren.

Innovationsstrategien und Disruptionen

Specht diskutiert die Herausforderungen, die mit technologischen Disruptionen einhergehen, und weist darauf hin, dass etablierte Unternehmen oft Schwierigkeiten haben, sich an neue Technologien anzupassen. Er nennt das Beispiel der Automobilindustrie, wo traditionelle Hersteller wie Volkswagen, BMW und Daimler Schwierigkeiten haben, mit der Elektromobilität Schritt zu halten. Im Gegensatz dazu haben Unternehmen wie Tesla durch ihre Innovationsbereitschaft und die Fähigkeit, sich schnell anzupassen, einen erheblichen Vorteil erlangt.

Die Rolle von Staat und Markt in der Technologieentwicklung

Ein weiterer Schwerpunkt des Gesprächs ist die Rolle des Staates in der Technologieentwicklung. Specht argumentiert, dass der Staat nicht nur regulieren, sondern auch strategisch fördern sollte. Er betont, dass in den USA und China der Staat eine viel aktivere Rolle spielt, indem er nicht nur reguliert, sondern auch gezielt in bestimmte Technologien investiert und die Entwicklung ganzer Industrien fördert.

Der europäische Kontext: Herausforderungen und Lösungen

Specht hebt hervor, dass Europa vor besonderen Herausforderungen steht, insbesondere im Hinblick auf die Fragmentierung der Märkte und die mangelnde Finanzierung von Innovationen. Er argumentiert, dass europäische Lösungen erforderlich sind, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Die Notwendigkeit einer strategischen und umfassenden Herangehensweise wird betont, um Wertschöpfungsketten aufzubauen und Technologien zu fördern, die langfristig erfolgreich sein können.

Der Umgang mit Daten: Chancen und Risiken

Ein zentrales Thema des Gesprächs ist der Umgang mit Daten, insbesondere im Kontext von Künstlicher Intelligenz (KI) und Gesundheitstechnologien. Specht kritisiert die restriktiven Datenschutzbestimmungen in Europa, die die Entwicklung und Anwendung von KI behindern. Er betont, dass Daten der Schlüssel zur Entwicklung und Optimierung von KI-Systemen sind und dass Europa Gefahr läuft, in diesem Bereich den Anschluss zu verlieren, wenn die regulatorischen Rahmenbedingungen nicht angepasst werden.

Schlussfolgerungen und Ausblick

Dirk Specht schließt das Gespräch mit einer kritischen Reflexion über die strategischen Entscheidungen, die Europa in den kommenden Jahren treffen muss. Er betont die Notwendigkeit, pragmatischer und flexibler zu handeln, insbesondere im Umgang mit neuen Technologien und der globalen Konkurrenz. Europa müsse sich auf seine Stärken besinnen und gleichzeitig bereit sein, neue Wege zu gehen, um in einer sich schnell verändernden Welt wettbewerbsfähig zu bleiben.

Zusammenfassung

Das Gespräch bietet wertvolle Einblicke in die Herausforderungen und Chancen, die sich aus technologischen Disruptionen, der Energiepolitik und der Rolle des Staates in der Wirtschaft ergeben. Dirk Specht plädiert für eine strategische und umfassende Herangehensweise, um die Zukunft Europas in einer globalisierten Welt zu sichern. Die zentrale Botschaft ist, dass Innovation und Anpassungsfähigkeit entscheidend sind, um langfristig erfolgreich zu sein.

Liste aller Gespräche:

https://energiespeicher.blogspot.com/p/energiegesprache-mit-eduard-heindl.html

Samstag, 10. November 2012

Kapazitätsmärkte, wozu?

Die Idee der Kapazitätsmärkte

Im Zusammenhang mit der Umstellung der Energieversorgung wird häufig eingeworfen, wir brauchen dringend Kapazitätsmärkte. Es geht um die Frage, "wann gehen die Lichter aus", wenn wir weiter erneuerbare Energien installieren. Zunächst erscheint es ja sehr merkwürdig, dass durch zusätzliche Kraftwerke die Gefahr eines Stromausfalls steigen soll. In erster Näherung stimmt das natürlich nicht, denn je mehr Kraftwerke, um so mehr Versorgungssicherheit. Allerdings ist die Sache etwas komplizierter

Der Strommarkt

Abbildung 1: Die Merit-Order Kurve, Je größer die Nachfrage, um so höher der Preis.
 Doch irgendwann kann die  Nachfrage die Kapazität übertreffen, dann kommt es zu einem Stromausfall.
In Deutschland gibt es einen Strommarkt [1], der nach dem Prinzip Merit-Order funktioniert. Das bedeutet, alle Kraftwerke werden nach den Grenzkostenpreis sortiert. Grenzkosten, das ist der Preis für Strom der zwischen abgeschalteten Kraftwerk und eingeschaltetem Kraftwerk liegt. Etwa bei einem Kohlekraftwerk der Kohlepreis pro Kilowattstunde. Bei einer Solarzelle liegt der Preis praktisch bei Null. Am höchsten ist der Preis bei Gas und Ölkraftwerken, in der Abbildung 1 ganz rechts. Je nach Nachfrage wird dann für alle Teilnehmer der gleiche Marktpreis bestimmt. Das Problem ist aber, der Verbraucher merkt davon nichts, der Strom ist immer gleich teuer. Die Folge ist, die Nachfragekurve wirkt nicht.

Nachfrage

Abbildung 2. Die Nachfragekurve, je höher der Preis, um so geringer wird die Nachfrage.
Ein funktionierender Markt arbeitet mit der Nachfragekurve, Abbildung 2, das bedeutet, je niedriger der Preis, um so höher die Nachfrage. Hohe Preise reduzieren die Nachfrage. Da im Strommarkt praktisch kein Kunde den aktuellen Börsenpreis zahlen muss, entsteht ein Problem. Selbst wenn der Preis an der Strombörse stark ansteigt, wird keiner seine Klimaanlage oder Aluminiumschmelze etwas herunterfahren, da er kein Marktsignal empfängt.
Damit ist aber die Gefahr vorhanden, dass plötzlich mehr Strom verbraucht wird, als Kapazität vorhanden ist, insbesondere, wenn bestimmte Kapazitäten, wie Wind und Sonne, nicht verfügbar sind. Dies führt zu einem Stromausfall, den keiner will.

Lösungsmöglichkeiten

Die einfachste Lösung ist, der Staat schreibt vor, wie viele Kraftwerke vorhanden sein müssen und zahlt dafür einen festen Betrag, das ist ein sogenannter Kapazitätsmarkt. Diese Lösung ist für Stromkonzerne sehr attraktiv, da diese immer noch riesige Kraftwerke besitzen, die aufgrund der Solar- und Windkraftwerke immer häufiger abgeschaltet bleiben und damit keine Einnahmen erwirtschaften. 
Nachteil dieser Lösung ist, dass der Staat immer sehr schlecht ist den Bedarf richtig zu ermitteln, wir erinnern uns an Milchseen in der EU und an die Autoproduktion in der DDR. Der Grund liegt zumeist an Interessen, so wird die lobbystarke Stromwirtschaft eher etwas zu viel Kapazitätsbedarf prognostizieren.

Alternative: Echter Markt

Das wichtigste ist, dass in einem Markt der Käufer die tatsächlichen Kosten zahlt, in diesem Fall den Preis des Stroms wie er gerade an der Börse gehandelt wird. Daher wären flexible Stromtarife, die den aktuellen Marktpreis einrechnen sinnvoll. An vielen Stellen könnte dann der Strombedarf etwas gesenkt werden, wenn die Produktion wirklich an die Kapazitätsgrenze kommt. Das wird auch in Zukunft eher selten sein, aber im Grenzfall sehr wirksam und zudem ein guter Schutz gegen Stromausfälle [2].

Versicherungslösung

Eine weitere Lösung wäre eine Art Versicherung gegen Stromausfall. Schon heute gibt es viele Dienstleistungen, die nicht 100% funktionieren, so steht im Vertrag der Telekom nur eine 97% Verfügbarkeit, wer mehr will zahlt etwas mehr. Kunden die eine hohe Verfügbarkeit benötigen zahlen dann etwas mehr, vielleicht 5%, und haben dann 99,9% Liefersicherheit für Strom. Diese Versicherungen würden sehr schnell beginnen, Speicher für Strom anzulegen, da es jetzt sehr lohnend ist, immer Strom zu liefern.

Staat oder Markt

Ich will kein abschließendes Urteil abgeben, aber meine Erfahrung ist bisher immer gewesen, dass der Staat oder eine Regulierungsbehörde nicht besonders gut den Bedarf eingeschätzt haben. So hat etwa die Bundes-Post Anfang der 1990er Jahre den Handybedarf auf 100.000 Handys in Deutschland eingeschätzt. Welche ein Irrtum.
Die Vorhersagen für Solarenergie und Windkraft sind vergleichbar schlecht, wie die Diskussion um die Sätze des EEG zeigen. Ich hoffe, bei der Weiterentwicklung des Stromnetzes wird mehr auf Markt als auf Plan gesetzt.

Eine weitere Alternative ist ein linearer Strommarkt.
Merkwürdig sind die paradoxen Marktsignale.
  
Quellen:
[1] Tietjen, Oliver, Kapazitätsmärkte, Germanwatch, April 2012
[2] Siegmeier, Jan, Kapazitätsinstrumente in einem von erneuerbaren Energien geprägten Stromsystem, Electricity Markets Working Papers WP-EM-45, Juli 2011

Samstag, 17. März 2012

Paradoxe Marktsignale

Die Energiewende wird in den nächsten Jahren die bisherigen Energielieferanten, Kohle- und Kernenergie, durch Windkraft und Solarenergie ablösen. Damit werden aber nicht nur die Energiequelle einfach ausgetauscht, sondern auch ein fundamentaler Wandel von gespeichert Energie, die in Strom umgewandelt wird, hin zu zeitlich fluktuierender Energie, die gespeichert werden muss, eingeleitet.
Verlauf der Stromproduktion, Grau: konventionelle Kraftwerke, Grün: Windkraft, Gelb Solarenergie. (Quelle: eex)

Der Tagesverlauf
Im Lauf eines Tages ändert sich der Energieverbrauch merklich, siehe Bild. In der Nacht, gegen drei Uhr ist er am niedrigsten, im Lauf des Vormittags steigt er an um kurz nach 12:00 sein Maximum zu erreichen, ab 20:00 geht der Verbrauch dann wieder deutlich zurück. Dabei gibt es gewisse Unterschiede in den Wochentagen, diese sollen jetzt aber nicht betrachtet werden. Um diesen Tagesverlauf optimal mit Kraftwerken abzubilden, gibt es Grundlastkraftwerke, die immer Strom erzeugen, wie Kernkraftwerke, und Spitzenlastkraftwerke die genau während der Verbrauchsspitzen laufen. Es ist ökonomisch natürlich vorteilhaft, Kraftwerke möglichst viele Stunden in Betrieb zu halten, da dies bei den Spitzenlastkraftwerken nicht geht, ist der Preis dieses Stroms auf dem Markt teurer. Der Verbraucher merkt davon jedoch nichts, da wir eine Art "flatrate" für die kWh haben.
Die Marktsignale
Auf dem Strommarkt ist der Strompreis von der Nachfrage abhängig, hohe Nachfrage hoher Preis. Daher hat man schon vor vielen Jahren begonnen, mit Pumpspeicherkraftwerken diesen Preisunterschied auszunutzen. In der Nacht, wenn der Strom billig war, hat man Wasser hochgepumpt, Mittags, wenn alle die Herdplatte eingeschalten haben, hat man diese Energie zu einem höheren Preis verkauft. Mit der Preisdifferenz hat man den Speicher finanziert.
Heute haben wir jedoch viele Solarzellen auf den Dächern und genau am Mittag, wenn die Menschen die elektrischen Maschinen nutzen, gibt es Strom aus den Solarzellen, der Strompreis steigt nicht an, da die Photovoltaik genau diesen Bedarf deckt. Der Pumpspeicherkraftwerksbetreiber schaut in die "Röhre". Er kann den Strom nicht sinnvoll verkaufen. Sieht man in den Geschäftsbericht der EnBW von 2011, dann wird dort genau über die geringen Einnahmen der Schluchseekraftwerke gejammert.
Irreführendes Signal
Dieses Marktsignal ist jedoch sehr irreführend, da in Zukunft die Situation völlig anders aussehen wird. Wächst  die Photovoltaik weiter, so wird am Tag nicht nur die Verbrauchsspitze abgedeckt, sondern so viel Strom erzeugt, dass andere Kraftwerke abgeschalten werden müssen, da Solarstrom per Gesetzt Vorfahrt hat. Damit verlagert sich der ungedeckte Strombedarf in die Nacht und plötzlich geht die Schere zwischen Angebot und Nachfrage wieder auf.
Für den Investor in Speicherkraftwerke ist das natürliche eine riskante Angelegenheit, sollte aus irgendeinen Grund die Energiewende ins Stocken geraten und kein weiterer Zubau von Solarkraftwerken erfolgen, könnte die Investition eine Fehlinvestition werden.
Große Energieunternehmen haben eine hohe Verantwortung und sind bei solchen Geschäftsmodellen mehr als vorsichtig. Daher sind klare politische Vorgaben für den Ausbau der Erneuerbaren Energien notwendig, da sonst die notwendigen Investitionen in  Speicher nicht getätigt werden.
Mutige Investoren gesucht  
Da aber absehbar ist, dass die Politik mit dem Wechsel auf Erneuerbare Energien ebenfalls überfordert ist, sind mutige Investoren gesucht, die das Problem verstehen und sehen, dass mit Speichern in naher Zukunft viel Geld zu verdienen ist. Genau weil die bisherigen Akteure zu zögerlich sind.
Ähnliches kann man übrigens in vielen Märkten beobachten. Oder kennen Sie ein Zeitungsportal im Internet, das alle Newsmeldungen durchsucht? Nein, das macht die marktfremde Firma Google.