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Freitag, 25. Juli 2025

Prof. Dr. Gregor Dorfleitner

 Prof. Dr. Gregor Dorfleitner: Nachhaltigkeit in der Finanzwelt verstehen

Das vollständige Gespräch mit Prof. Dr. Gregor Dorfleitner auf YouTube


Vom Derivate-Spezialisten zum Pionier nachhaltiger Finanzierungen

Prof. Dr. Gregor Dorfleitner, Direktor des Center of Finance an der Universität Regensburg, hat einen ungewöhnlichen Werdegang: Nach seinem Mathematikstudium fand er über eine Stelle am Statistiklehrstuhl zum Thema DAX-Futures in die Finanzwissenschaft. Als Professor in Wien befasste er sich zunächst mit Financial Engineering. Doch die Vorboten der Finanzkrise 2008 ließen ihn zweifeln, ob er auf dem „richtigen“ Weg sei. Sein Interesse verlagerte sich auf sinnstiftendere Forschung – insbesondere in der nachhaltigen Finanzierung.

Sein Einstieg erfolgte über Mikrofinanzinstitutionen: Kredite an Menschen in Entwicklungsländern, die damit wirtschaftlich eigenständig werden. Daraus entwickelte sich seine bis heute andauernde Auseinandersetzung mit Impact Investing, das neben Rendite auch ökologische und soziale Wirkungen anstrebt.


ESG: Dreidimensionale Bewertung von Unternehmen

Ein zentrales Thema des Gesprächs ist die ESG-Bewertung – Environmental, Social, Governance. Dorfleitner erklärt die Unterschiede zwischen klassischen Ratings (etwa Triple-A für sichere Staatsanleihen) und ESG-Ratings, die zusätzlich Nachhaltigkeitsaspekte messen.

Während klassische Ratings die Rückzahlungswahrscheinlichkeit bewerten, beurteilen ESG-Ratings z. B. CO₂-Emissionen (Scope 1–3), Arbeitsbedingungen, Lieferketten, Korruptionsprävention oder Diversität im Management. Die Datenlage ist komplex: Ratingagenturen verarbeiten teils 800 Kennzahlen pro Unternehmen, gewichten sie unterschiedlich – was zu abweichenden Ergebnissen führen kann.

Dorfleitner plädiert dafür, diese Vielfalt nicht als Makel zu sehen: Es existieren eben unterschiedliche ethische Maßstäbe. Was für den einen nachhaltig ist (z. B. eine Brauerei), ist für den anderen ein Ausschlusskriterium.


Grüne Anleihen und Informationskosten

Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Unternehmen gibt eine Anleihe heraus, um seine Produktionshallen mit Photovoltaik auszustatten. Wird die Mittelverwendung zweckgebunden und nachvollziehbar grün, spricht man von einem „Green Bond“. Für solche Anleihen gibt es wiederum eigene Ratinganbieter.

Private wie institutionelle Anleger nutzen ESG-Informationen, um ihre Investments mit persönlichen Werten oder Risikoeinschätzungen abzugleichen. Dorfleitner erläutert den Effekt der Informationskosten: Wer auf ESG-Kriterien achtet, zahlt z. B. für Datenbanken oder Analysten – was aber gut investiertes Geld sein kann, wenn es hilft, Risiken zu vermeiden.


Unternehmen und nachhaltige Investitionen: Rendite entscheidet

Unternehmen wiederum investieren nur dann in „grüne“ Projekte, wenn sie sich rechnen – oder entsprechende Förderungen erhalten. Ein CFO berichtete etwa, dass sich eine Investition in einen Hybridofen (Gas/Strom) ohne staatlichen Zuschuss nicht lohnt, obwohl er nachhaltiger wäre.

Hier zeigt sich die Rolle der Politik: Mit gezielten Zuschüssen kann der Staat Investitionsentscheidungen lenken, ohne die Marktlogik zu sprengen. Aber: Nachhaltige Investitionen müssen langfristig auch wirtschaftlich tragfähig sein – sonst sind sie nicht nachhaltig im ökonomischen Sinne.


EU-Taxonomie: Normierung mit Nebenwirkungen

Mit der EU-Taxonomie kommt eine staatlich regulierte ESG-Klassifikation ins Spiel. Sie schreibt Unternehmen vor, welche Aktivitäten als „ökologisch nachhaltig“ gelten, orientiert an sechs Umweltzielen (u. a. Klimaschutz, Biodiversität, Kreislaufwirtschaft). Unternehmen müssen selbstständig berichten, wie viel ihres Umsatzes, ihrer Investitionen oder Tätigkeiten diesen Kriterien genügen.

Kritiker bemängeln den bürokratischen Aufwand, besonders für kleine und mittlere Unternehmen. Dorfleitner erkennt die Systematik der Taxonomie an, warnt aber vor einer möglichen Planwirtschaft durch übermäßige Regulierung. Transparenz sei wichtig – doch Aufwand und Nutzen müssten im Gleichgewicht bleiben.


Greenwashing und Wirkung von ESG-Investments

Greenwashing – also der Versuch, sich durch gezielte PR oder Zertifikate „grüner“ darzustellen als man tatsächlich ist – bleibt eine Herausforderung. Insbesondere, wenn über CO₂-Zertifikate eine vermeintliche Klimaneutralität erreicht wird, ohne realen Wandel im Unternehmen.

Trotzdem sieht Dorfleitner ESG-Investitionen nicht nur als „Wohlfühlentscheidung“ (warm glow), sondern als rationalen Weg, Risiken zu minimieren und Unternehmen langfristig resilienter zu machen. Die Renditeunterschiede zwischen grünen und herkömmlichen Anleihen seien gering, doch die Marktdynamik wachse stetig.


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Stichworte: ESG-Rating, nachhaltige Geldanlage, Green Bonds, EU-Taxonomie, Unternehmensfinanzierung

Donnerstag, 24. Juli 2025

Prof. Dr. Matthias Bethge

 Prof. Dr. Matthias Bethge: Wie Maschinen lernen – und was das mit unserem Gehirn zu tun hat

Das vollständige Gespräch mit Prof. Dr. Matthias Bethge auf YouTube.

Von der Physik zur Künstlichen Intelligenz

Matthias Bethge studierte Physik und Mathematik, promovierte in Bremen und forschte in Berkeley am renommierten Redwood Center for Theoretical Neuroscience. Heute ist er Professor an der Universität Tübingen und eine der führenden Stimmen in der KI-Forschung Europas. Sein Interesse an neuronalen Netzen begann zufällig: Ein Seminar zur „nichtlinearen Dynamik in neuronalen Systemen“ weckte sein wissenschaftliches Feuer. Von der Synapsenforschung ging es über Bildverarbeitung bis zur modernen KI.

Wie kommt die Welt in den Kopf?

Bethge beschreibt die grundlegende Frage seiner Forschung so: „Wie kommt die Welt in den Kopf?“ Dabei ist das menschliche Gehirn ein System von rund 100 Milliarden Neuronen, die in komplexer Weise Informationen verarbeiten. Besonders fasziniert ihn die Netzhaut, da man hier exakt messen kann, wie Lichtreize verarbeitet und weitergeleitet werden. Diese biologische Signalverarbeitung liefert Vorbilder für KI-Systeme. Anders als klassische Computer, die Informationen in klaren Schritten verarbeiten, arbeitet das Gehirn mit massiv parallelen, oft nichtlinearen Prozessen – und ist dabei erstaunlich effizient.

Lernen in Mensch und Maschine

Während KI-Modelle wie ChatGPT mit riesigen Datenmengen und der sogenannten Backpropagation lernen, verwendet das Gehirn andere Strategien. Trotzdem gibt es Überschneidungen: Lokale Lernregeln im Gehirn – etwa das sogenannte „Häppchenlernen“ – ähneln in Grundzügen dem maschinellen Training. Bethge beschäftigt sich intensiv mit „Continual Learning“: der Fähigkeit, ständig neues Wissen aufzunehmen, ohne das Alte zu vergessen. In dieser Disziplin ist das Gehirn der KI noch deutlich überlegen.

Sprache als Schlüsseltechnologie

Ein Meilenstein in der KI war die effektive Verarbeitung natürlicher Sprache. Bethge betont: Sprachmodelle wie ChatGPT haben durch Skalierung (mehr Daten, größere Modelle) eine neue Qualität erreicht. Besonders spannend findet er den Übergang von reiner Textverarbeitung zu Systemen, die Werkzeuge benutzen, Aufgaben selbstständig erledigen und mit ihrer Umwelt interagieren – sogenannte Agentensysteme. Diese Entwicklungen könnten auch unsere Gesellschaft transformieren.

KI, Gesellschaft und Verantwortung

Bethge sieht die Menschheit vor einer doppelten Herausforderung: Technologisch schreitet KI rasant voran, während gesellschaftliche Strukturen mit dieser Dynamik kaum Schritt halten. Besonders wichtig ist ihm die Frage, wie wir KI so gestalten, dass sie den Menschen unterstützt – etwa durch persönliche Assistenten, die unabhängig von kommerziellen Interessen agieren. Auch der Datenschutz, Bildung und ein fairer Zugang zu Technologie sind für ihn zentrale Themen.

Europa muss Verantwortung übernehmen

Angesichts geopolitischer Verschiebungen, etwa dem wachsenden Autoritarismus in den USA, sieht Bethge Europa in einer entscheidenden Rolle: „Wir müssen unsere Werte verteidigen – mit Technologie, Ideen und Zusammenarbeit.“ Das Tübinger Forschungsumfeld sei stark, aber er wünscht sich mehr private Investitionen und eine bessere Verknüpfung von Grundlagenforschung und industrieller Umsetzung. Der Brain Drain Richtung USA sei lange Realität gewesen – nun könnten sich neue Chancen ergeben, Talente zurückzugewinnen.


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Stichworte: Gehirn und KI, Lernen, neuronale Netze, Sprachmodelle, Europa und Technologiepolitik

Mittwoch, 23. Juli 2025

Anna-Julia Storch

 Anna-Julia Storch – Zwischen Skispitze und KI-Start-up

Das vollständige Gespräch mit Anna-Julia Storch auf YouTube

Vom Skirennen ins Stanford-Labor

Anna-Julia Storch, aufgewachsen in Marktneukirch, hat einen bemerkenswerten Lebensweg eingeschlagen: Mit Disziplin und Ehrgeiz schaffte sie den Spagat zwischen Leistungssport und Schulbildung – und zwar auf höchstem Niveau. Ein 1,0-Abitur, sportliche Spitzenleistungen bis zur westamerikanischen Meisterschaft im Skirennen, und später ein Masterstudium in Data Science an der renommierten Stanford University prägen ihren Werdegang. Früh lernte sie, dass Priorisierung, wenig Schlaf und konsequentes Arbeiten entscheidend sind, wenn man Großes erreichen will.


Zwischen kalifornischem Fortschritt und deutscher Gründlichkeit

Storch kennt beide Welten: das leistungsorientierte, technologiegetriebene Kalifornien ebenso wie die eher konservative, differenzierte Hochschullandschaft Deutschlands. In Stanford, erzählt sie, sei der Leistungsdruck hoch, aber inspirierend – man umgebe sich mit Menschen, die die Welt verändern wollen. In Deutschland hingegen mangele es oft an Leistungsfreude, die sich etwa auch in der Rücknahme von Formaten wie den Bundesjugendspielen zeige. Für sie ist klar: Wettbewerb und Anstrengung führen zu Glück und Erfüllung – sowohl im Sport als auch im Beruf.


KI für die reale Welt: Das Start-up Drift

Mit ihrem Start-up Dryft, gegründet in den USA, entwickelt Anna-Julia Storch KI-Agenten zur Optimierung von Lieferketten. Zielgruppe: mittelgroße und große Industrieunternehmen mit komplexen Produkten. Die KI analysiert unstrukturierte Daten, erkennt Veränderungen und schlägt autonom Handlungen vor – etwa Bestellungen verschieben oder Lieferanten absagen. Der Effizienzgewinn kann Millionen einsparen. Besonders wichtig war ihr, ein Produkt zu entwickeln, das greifbaren Nutzen für bodenständige Industrieunternehmen schafft – nicht nur digitale Spielereien.


Technologie, Gesellschaft und Zukunft

Storch sieht den Klimawandel als ernstes, aber lösbares Problem – durch Innovation, nicht durch Panik oder Verbote. Sie schätzt Demonstrationen als Katalysatoren gesellschaftlicher Aufmerksamkeit, lehnt aber radikale Formen des Protests ab. Den Kernenergieausstieg hält sie für einen strategischen Fehler Deutschlands: In ihren Kreisen gilt der Ausstieg überwiegend als falsch.

Künstliche Intelligenz ist für sie das zentrale Zukunftsthema – auch in Bezug auf Energieverbrauch, Regulierung und gesellschaftlichen Wandel. Die größte Herausforderung: die sogenannte AGI (Artificial General Intelligence), also KI mit menschenähnlicher Intelligenz. Sie sieht in ihr Chancen, Arbeit von Routine zu befreien – hin zu mehr Mensch-zu-Mensch-Interaktion und sinnstiftender Tätigkeit.


Gründerin, Frau, Vorbild

Als Frau in der Tech-Start-up-Szene fühlt sie sich nicht diskriminiert, sieht aber strukturelle Gründe für den geringen Anteil an Gründerinnen: fehlende Vorbilder und geringere Risikobereitschaft. Umso mehr will sie selbst zum Vorbild werden – ohne sich aufzudrängen. Ihr Leitspruch: "Ich will weise und nützlich sein." Geld sei zweitrangig, entscheidend sei ein spannendes, bedeutungsvolles Leben.


Blick nach vorn: Bildung, Arbeit und Verantwortung

Storch plädiert für ein Bildungssystem, das fordert und inspiriert. Noten und Wettbewerb seien in jungen Jahren wichtige Motivatoren. Die zunehmende politische Zersplitterung sieht sie kritisch: Deutschland brauche wieder Persönlichkeiten, die über Parteigrenzen hinweg Einigkeit stiften können. Die Rolle Europas in der globalen Tech-Welt sieht sie gefährdet, wenn Talente weiterhin vor allem in die USA abwandern.


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Stichworte:
Künstliche Intelligenz, Leistungssport, Start-up-Gründung, Energiepolitik, Bildungssystem

Dienstag, 22. Juli 2025

Jürgen Schöttle

 Jürgen Schöttle

Das vollständige Gespräch mit Jürgen Schöttle auf YouTube.

Vom Schlosser zum Kraftwerksprofi

Jürgen Schöttle, Jahrgang 1942, begann seine berufliche Laufbahn mit einer Schlosserlehre, gefolgt von einem Maschinenbaustudium in Konstanz. 40 Jahre war er bei Siemens tätig – im Kraftwerksbau, insbesondere bei Kernkraftwerken. Seine Aufgaben reichten von der Konstruktion über die Montage bis zur weltweiten Leitung des Servicebereichs thermischer Kraftwerke. Seine tiefe technische Erfahrung und sein lebenslanger Umgang mit Energieanlagen prägen auch seine Sicht auf aktuelle Entwicklungen.

Technik, Sicherheit und jahrzehntelange Erfahrung

Schöttle spricht mit Respekt über die hohe Sicherheit und technische Raffinesse der Kernkraftwerke. Er schildert, wie auf jedes Detail geachtet wird: Schweißnähte an Reaktordruckbehältern wurden per Ultraschall mehrfach kontrolliert, Berechnungen doppelt geprüft. Die Sicherheitskultur – geprägt von konservativem Design und mehrstufiger Redundanz – sei ein Markenzeichen deutscher Ingenieurskunst.

Vom Bau zum Service – weltweit im Einsatz

Ab 1992 verantwortete Schöttle bei Siemens den Servicebereich thermischer Kraftwerke weltweit. Ob Gas-, Kohle- oder Kernkraftwerke: sein Team sorgte für Instandhaltung, Modernisierung und Reaktionsfähigkeit bei Problemen. Dabei erlebte er die Internationalisierung der Energieversorgung – mit teils sehr unterschiedlichen Standards und Herangehensweisen je nach Land.

Der Ausstieg und die verlorene Expertise

Kritisch betrachtet Schöttle den deutschen Atomausstieg. Die sichere und leistungsstarke Technologie sei aufgegeben worden – und mit ihr auch das über Jahrzehnte aufgebaute Know-how. Junge Ingenieure hätten heute kaum noch Zugang zu praktischer Ausbildung an Reaktoren. Eine Wiederinbetriebnahme abgeschalteter Anlagen hält er aus rechtlichen und politischen Gründen für ausgeschlossen, rein technisch aber möglich.

Stromnetz unter Stress – neue Anforderungen, alte Probleme

Mit Sorge sieht Schöttle die zunehmenden Herausforderungen im Stromnetz. Die fluktuierende Einspeisung aus Wind und Sonne stellt hohe Anforderungen an die Netzstabilität. Früher sei die Netzfrequenz mit rotierenden Massen der Turbinen stabilisiert worden – heute fehlt diese Trägheit. Ohne Grundlastträger wie Kern- oder Kohlekraftwerke werde das System instabiler und störanfälliger.

Energietechnik in der Schule

Nach dem Berufsleben brachte Schöttle seine Erfahrung ehrenamtlich in einer Realschule ein – insbesondere im Fach Physik. Sein Ziel: jungen Menschen ein realistisches Verständnis von Energie, Technik und physikalischen Grundlagen zu vermitteln. Für ihn ist klar: Energiedebatten müssen auf Fakten beruhen, nicht auf Wunschdenken.


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Stichworte: Kernkraftwerke, Siemens, Netzstabilität, Energietechnik, Reaktorsicherheit

Montag, 21. Juli 2025

Dr. Nico Wehrle

Interview mit Dr. Nico Wehrle: Energiespeicher und die Zukunft der Energieversorgung

Das vollständige Gespräch mit Dr. Nico Wehrle auf YouTube.

Einführung und Hintergrund von Dr. Nico Wehrle

Dr. Nico Wehrle, Maschinenbauingenieur und Experte für Energiespeicher, hat in Deutschland zu diesem Thema promoviert. Seine berufliche Laufbahn begann in der Kernenergie, wo er in Heidelberg bei einem Unternehmen für kerntechnische Berechnungen tätig war. Später wechselte er zu einem Hersteller von Wasser- und Wärmemesstechnik im Schwarzwald, wo er sich intensiv mit Energiespeicherung auseinandersetzte, insbesondere mit dem Konzept des Gravity Storage. Sein Interesse an der Kombination von erneuerbaren Energien und Speichersystemen führte zu seiner Dissertation, die sich mit der Ermittlung des Speicherbedarfs und den zugehörigen Kosten in Deutschland beschäftigt.

Herausforderungen der erneuerbaren Energien

Erneuerbare Energien wie Wind- und Solarenergie sind volatil und nicht kontinuierlich verfügbar, im Gegensatz zu fossilen oder nuklearen Energiequellen. Dr. Wehrle betont, dass die Schwankungen dieser Energiequellen – besonders bei Windkraft, die zwischen 18 und 24 Prozent Nutzungsgrad variiert, während Solarenergie stabiler bei 10 bis 11 Prozent liegt – einen erheblichen Speicherbedarf erzeugen. Um diesen Bedarf zu ermitteln, analysierte er öffentlich zugängliche Daten von Übertragungsnetzbetreibern und dem Solaren Forschungsinstitut Freiburg. Diese Daten, die in 15-Minuten- bis stündlichen Intervallen vorliegen, ermöglichen es, den Strombedarf und die Stromerzeugung über das Jahr hinweg zu berechnen und den Speicherbedarf abzuleiten.

Vielfalt der Speichertechnologien

Dr. Wehrle untersuchte verschiedene Speichertechnologien, die jeweils unterschiedliche Anforderungen erfüllen. Lithium-Ionen-Batterien bieten einen hohen Wirkungsgrad (ca. 95 %) und schnelle Reaktionszeiten, sind jedoch für große Kapazitäten teuer. Zink-Luft-Speicher sind kostengünstiger, da Zink ein preiswerter Werkstoff ist, und ermöglichen eine unabhängige Skalierung von Energiewandler und Speicher. Pumpspeichersysteme nutzen komprimierte Luft und thermodynamische Prozesse für große Speicherkapazitäten, sind aber langsamer. Power-to-Gas-Technologien, wie Wasserstoff- oder Methanspeicherung, bieten große Kapazitäten, haben jedoch geringere Wirkungsgrade (33–35 %). Besonders die Methanisierung, bei der Wasserstoff in Methan umgewandelt wird, könnte bestehende Erdgasspeicher mit einer Kapazität von etwa 220 Terawattstunden nutzen.

Kostenfaktoren und Speicherzyklen

Die Kosten eines Speichersystems hängen stark von der Anzahl der Entladezyklen ab. Lithium-Ionen-Batterien, die häufig genutzt werden, sind aufgrund ihrer hohen Zyklenzahl kosteneffizienter, da sich die Investitionskosten auf viele Zyklen verteilen. Im Vergleich dazu sind saisonale Speicher, die nur wenige Zyklen pro Jahr haben, teurer, da die Investitionskosten auf wenige Entladungen umgelegt werden müssen. Dr. Wehrle schätzt, dass die Speicherkosten bei einer vollständigen Versorgung durch erneuerbare Energien das Drei- bis Vierfache der Stromerzeugungskosten betragen könnten. Der Strompreis könnte somit von 5–6 Cent pro Kilowattstunde auf 15–20 Cent steigen, wenn Speichertechnologien eingesetzt werden.

Integration von Kernenergie und anderen Quellen

Dr. Wehrle sieht in der Kernenergie ein großes Potenzial, um die Grundlast abzusichern und den Speicherbedarf zu reduzieren. Er plädiert für eine nüchterne Diskussion über Kernenergie, da sie im Vergleich zu fossilen Brennstoffen wie Kohle deutlich weniger gesundheitsschädlich ist. Neue Technologien wie kleine modulare Reaktoren auf Thorium-Basis könnten kostengünstiger und flexibler sein. Eine Mischung aus 50–60 % Kernenergie und 40–50 % erneuerbaren Energien mit einem gut dimensionierten Speichersystem könnte ein stabiles und kosteneffizientes Energiesystem ermöglichen. Er betont, dass eine vollständige Abhängigkeit von erneuerbaren Energien den Speicherbedarf vervierfachen oder verfünffachen würde.

Zukunft der Energieversorgung

Blickt man in die Zukunft, ist Dr. Wehrle optimistisch. Er glaubt, dass Kernenergie, insbesondere durch Fortschritte bei modularen Reaktoren oder Kernfusion, eine zentrale Rolle spielen wird. Gleichzeitig sollten erneuerbare Energien weiter ausgebaut werden, um fossile Brennstoffe zu ersetzen. Er sieht Potenzial in dezentralen Lösungen wie Solaranlagen mit Wärmepumpen, die den Netzbedarf reduzieren können. Importe von Wasserstoff aus Ländern wie Australien hält er für möglich, aber nicht ideal, da die Abhängigkeit von externen Quellen vermieden werden sollte. Langfristig plädiert er für eine Kombination aus lokalen Lösungen und einer Reduktion der Verbrennungstechnologien, um die Umweltbelastung zu minimieren.

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Stichworte: Energiespeicher, erneuerbare Energien, Kernenergie, Speichertechnologien, Stromkosten

Hauke Rathjen

 Hauke Rathjen

Das vollständige Gespräch mit Hauke Rathjen auf YouTube.

Vom Kind der Region zum Standortkommunikator

Hauke Rathjen ist in Sichtweite des Kernkraftwerks Brokdorf aufgewachsen. Als 14-Jähriger fuhr er mit dem Fahrrad am Kraftwerk vorbei und fragte sich, was unter der Kuppel passiert. 2007 wurde er Standortkommunikator – ein Beruf, der Öffentlichkeitsarbeit mit lokaler Verwurzelung verbindet. Rathjen kennt die Region, die Menschen – und die Geschichte des Kraftwerks.

Ein Druckwasserreaktor mit Weltrekorden

Brokdorf ist ein Druckwasserreaktor, 1986 ans Netz gegangen – direkt nach dem Unfall in Tschernobyl. Mit bis zu 12 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr versorgte es ganz Hamburg einschließlich der Industrie. Das Kraftwerk war zwei Mal Weltmeister in der Jahresstromproduktion und wurde regelmäßig gewartet, dabei jährlich ca. 50 von 193 Brennelementen ausgetauscht. Die Anlage galt als hoch flexibel: Seit 2000 regelte sie ihre Leistung netzstabilisierend entsprechend der Windstärke.

Sicherheit, Transparenz und Nullereignisse

Brokdorf hatte keine kerntechnischen Unfälle. Das Sicherheitssystem war redundant und streng überwacht. Sogenannte „Nullereignisse“, oft minimale Abweichungen ohne sicherheitstechnische Relevanz, wurden trotzdem gemeldet – eine Praxis, die für andere Industrien unüblich ist. Auch auf Pandemien, Naturereignisse und Stromausfälle war die Anlage vorbereitet.

Kosten, Rückbau und politischer Wille

Entgegen verbreiteter Kritik war die Kernenergie in Brokdorf wirtschaftlich erfolgreich. Es gab keine Subventionen, aber steuerliche Erleichterungen beim Aufbau. Der Rückbau begann nach der Abschaltung am 31.12.2021 und soll bis 2039 abgeschlossen sein. Ziel ist die „Brennstofffreiheit“ – 99 % der Radioaktivität lagern in den Brennelementen. Diese werden im Zwischenlager in der Nähe verwahrt.

Rückbau statt Reaktivierung

Ein Wiedereinstieg in den Betrieb wäre theoretisch machbar, praktisch jedoch unwahrscheinlich: Politischer Wille, rechtlicher Rahmen, Fachkräfte und Know-how fehlen zunehmend. Der Reaktordruckbehälter wurde bereits beprobt, erste Rückbauschritte sind erfolgt.

Vom Atomstrom zur Batterie

Die Zukunft des Geländes liegt in der Stromspeicherung: Ein Batteriespeicher mit bis zu 1.600 Megawattstunden Kapazität ist geplant. Ein symbolischer Wandel – vom Kraftwerk für Grundlaststrom zur Pufferbatterie für ein volatiles Energiesystem.


Dank geht an den Verein Nuklearia e.V. (www.nuklearia.de), der das Gespräch vermittelt hat.

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Stichworte: Brokdorf, Kernkraftwerk, Rückbau, Netzstabilität, Brennelemente

Samstag, 19. Juli 2025

Estelle Herlyn

 Prof. Dr. Estelle Herlyn

Das vollständige Gespräch mit Prof. Dr. Estelle Herlyn auf YouTube.

Nachhaltigkeit ganzheitlich denken – nicht nur ökologisch

Prof. Dr. Estelle Herlyn macht gleich zu Beginn deutlich: Nachhaltigkeit ist weit mehr als Klimaschutz. In ihrer Forschung und Praxis legt sie großen Wert auf die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – ökologisch, sozial und ökonomisch – und deren Balance. Sie warnt vor der Engführung aktueller Debatten, die oft einseitig auf CO₂-Faktoren fokussieren, während soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Tragfähigkeit zu kurz kommen. Besonders in Entwicklungs- und Schwellenländern brauche es differenzierte Strategien, um nachhaltige Transformationen fair und effektiv zu gestalten.


Vom CO₂-Kompensieren zur Transformation: Die Allianz für Entwicklung und Klima

Herlyn schildert die Entstehung und Zielsetzung der „Allianz für Entwicklung und Klima“, die sie zusammen mit BMZ und GIZ initiiert hat. Ziel war es, freiwillige CO₂-Kompensation mit entwicklungspolitischen Maßnahmen zu verbinden. Unternehmen, Institutionen und Städte sollen nicht nur Emissionen ausgleichen, sondern gleichzeitig Entwicklungsprojekte fördern – etwa durch Wiederaufforstung, nachhaltige Landwirtschaft oder Zugang zu Energie. Heute zählt die Allianz über 1400 Unterstützer und wird von einer Stiftung weitergeführt.


Global denken, lokal handeln – und umgekehrt

Ein zentraler Punkt des Gesprächs ist die Frage: Was können wir im globalen Norden tun, um den globalen Süden nicht weiter zu benachteiligen? Herlyn betont, dass Klimaschutzmaßnahmen auch soziale Nebenwirkungen haben. Wenn CO₂-Preise steigen, treffe das Haushalte mit geringem Einkommen besonders hart – in Deutschland wie auch weltweit. Deshalb sei eine sozial ausbalancierte Klimapolitik notwendig, etwa durch Rückverteilung von Einnahmen an Bürger oder gezielte Investitionen in Entwicklungsländer.

Herlyn fordert außerdem eine Reform des Welthandels: Subventionen in der EU führen dazu, dass beispielsweise Tomatenmark in Westafrika billiger verkauft wird als lokal produzierte Ware – mit verheerenden Folgen für die dortige Landwirtschaft. Eine global faire Transformation müsse Handels- und Klimapolitik zusammendenken.


Bildung, Werte und Gemeinwohl neu ausrichten

Für eine langfristige Veränderung brauche es laut Herlyn nicht nur Technologien oder Märkte, sondern auch eine Kultur des Gemeinwohls. Bildung spiele dabei eine zentrale Rolle: Schulen und Hochschulen müssten Nachhaltigkeit nicht nur als Zusatzthema behandeln, sondern als Querschnittskompetenz. Herlyn sieht zudem die Wirtschaft in der Pflicht, sich neu auszurichten: Weg vom reinen Shareholder-Value hin zu Gemeinwohlorientierung, wie sie etwa im „Stiftung Senat der Wirtschaft“ oder in den Prinzipien der Gemeinwohlökonomie vertreten wird.


Wege aus der Polarisierung: Nachhaltigkeit braucht Dialog

Herlyn beobachtet mit Sorge die zunehmende Polarisierung in der Nachhaltigkeitsdebatte – zwischen Klimaklebern und Klimaleugnern, zwischen Wirtschaft und Umweltschutz. Sie plädiert für einen konstruktiven, sachlich fundierten Diskurs, in dem unterschiedliche Interessen anerkannt und integriert werden. Nachhaltigkeit sei ein „Wirkungsraum“, der gemeinsames Gestalten erfordere – über Parteigrenzen, Disziplinen und Länder hinweg. Die Lösung der großen Zukunftsfragen sieht sie in klugen Allianzen und systemischer Kooperation.


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Stichworte: ganzheitliche Nachhaltigkeit, CO₂-Kompensation & Entwicklung, soziale Gerechtigkeit, Gemeinwohlorientierung, systemische Transformation

Heinrich Fischer

Heinrich Fischer

Das vollständige Gespräch mit Heinrich Fischer auf YouTube.


Vom Unternehmer zum politischen Energie-Denker

Heinrich Fischer, Physiker, Elektroingenieur und Volkswirt, bringt jahrzehntelange Erfahrung aus der Spitzenindustrie mit. Nach Stationen bei IBM, Balzers, Saurer und Hilti engagiert er sich heute in energie- und europapolitischen Debatten der Schweiz. Sein Interesse an der Energiepolitik entstand aus der Sorge, dass die Grundlagen des schweizerischen Wohlstands gefährdet sein könnten – insbesondere durch unzureichend durchdachte Pläne zur Energieversorgung und den möglichen Verlust der nationalen Souveränität durch ein EU-Rahmenabkommen.


Wasserkraft und Atomenergie: Die Stärken der Schweiz

Fischer betont die außergewöhnliche Ausgangslage der Schweiz durch ihre 660 Stauseen und eine etablierte Kernkraft-Infrastruktur. Wasserkraft deckt etwa die Hälfte des Strombedarfs, Kernkraft ein weiteres Drittel. Diese Grundpfeiler bieten nicht nur Versorgungssicherheit, sondern auch eine CO₂-freie Stromerzeugung. Die Schweiz sei im Winter dank großer Speicherseen ein stabilisierender Faktor im europäischen Netz – wenn auch die Kapazitäten langfristig nicht ausreichen, um den Bedarf einer vollelektrifizierten Zukunft zu decken.


Energiewende mit Fallstricken

Trotz Förderung für Solaranlagen – insbesondere im alpinen Raum mit hohem Winterertrag – hemmen Bürokratie, Infrastrukturmängel und Investitionsunsicherheiten den Ausbau. Die Problematik: Im Sommer gibt es Stromüberschüsse, die kaum genutzt werden können, während im Winter Versorgungsengpässe drohen. Der Import von grünem Wasserstoff erscheint laut Fischer technisch und wirtschaftlich kaum realistisch. Die Dekarbonisierung müsse pragmatisch und technologieoffen gedacht werden – ohne ideologische Scheuklappen.


Europas Innovationsproblem und die Rolle der ETH

Fischer hebt die Innovationskraft der ETH Zürich hervor, wo er im Stiftungsrat tätig ist. Start-ups entstehen dort aus praxisnaher Forschung mit internationalem Anschluss. Doch Europa habe ein strukturelles Problem: Zu viele Regulierungen, zu wenig Risikofreude. Der Erfolg der Schweiz beruhe auch auf geringer Bürokratie und starkem Vertrauen der Bürger in den Staat. Länder wie Deutschland und Frankreich drohten laut Fischer im globalen Innovationsvergleich weiter zurückzufallen.


Demokratie als Fundament – und Hindernis?

Die direkte Demokratie in der Schweiz erlaube es, energie- und klimapolitische Ziele demokratisch zu legitimieren – aber auch lokale Projekte zu blockieren. Ein Ziel wie CO₂-Neutralität wird zwar mehrheitlich unterstützt, konkrete Wind- oder Solarkraftprojekte stoßen jedoch häufig auf Widerstand. Dennoch plädiert Fischer dafür, dieses politische System als Garant für Langfristigkeit und Akzeptanz zu erhalten – auch wenn es langsamer sei als zentralistische Modelle.


EU, Neutralität und geopolitische Herausforderungen

Fischer sieht die Schweiz als eigenständiges, innovationsgetriebenes Land, das seine Unabhängigkeit nicht durch ein übergriffiges EU-Rahmenabkommen aufgeben sollte. Gleichzeitig fordert er mehr Flexibilität in außen- und sicherheitspolitischen Fragen – etwa im Verhältnis zur NATO oder in der Haltung zu Russland. Die Schweiz müsse bereit sein, ihre Neutralität neu zu denken, ohne ihre demokratischen Prinzipien zu verraten.


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Stichworte: Schweiz Energiepolitik, Wasserkraft & Kernenergie, Innovationsförderung ETH, direkte Demokratie, EU-Rahmenabkommen

Michael Laar

 Prof. Dr. Michael Laar: Architektur als Hebel für eine nachhaltige Zukunft

Das vollständige Gespräch mit Prof. Dr. Michael Laar auf YouTube.


Nachhaltige Architektur beginnt mit Systemdenken

Prof. Dr. Michael Laar, Architekt und Professor für „Healthy and Sustainable Buildings“ am European Campus Rottal-Inn, beschreibt seinen Zugang zu Architektur als interdisziplinär und systemisch. Nachhaltigkeit beschränkt sich für ihn nicht nur auf Energieeffizienz, sondern bezieht Gesundheit, soziale Gerechtigkeit, Raumqualität und zirkuläres Wirtschaften mit ein. Er betont, dass Bauwerke Lebensräume sind, die in Wechselwirkung mit Mensch, Umwelt und Technik stehen.

In seinem Studium der Architektur in München und der Promotion an der Bauhaus-Universität Weimar habe er den Blick für diese größeren Zusammenhänge geschärft. Internationale Anerkennung fand er durch innovative Projekte in Brasilien, etwa eine emissionsfreie Schule in Rio de Janeiro, die energieautark betrieben werden kann.


Gebäude als Teil einer resilienten Gesellschaft

Laar sieht Gebäude nicht als technische Maschinen, sondern als Teil eines ökologischen Systems. Der Mensch steht dabei im Zentrum. Seine Projekte verfolgen das Ziel, Gebäude an den lokalen Kontext anzupassen: klimatisch, kulturell und sozial. Ein Beispiel ist sein Schulprojekt in Brasilien, das natürliche Ventilation und thermische Trägheit nutzt – ganz ohne konventionelle Klimaanlagen.

Für Mitteleuropa hebt er die Bedeutung robuster, reparierbarer Bausubstanz hervor. „Ein guter Altbau kann 200 Jahre genutzt werden“, sagt Laar. Die Langlebigkeit sei oft nachhaltiger als ein hochtechnisierter Neubau, der nach wenigen Jahrzehnten unbrauchbar werde. Wichtig sei dabei die nutzerzentrierte Gestaltung – einfache Bedienbarkeit, natürliche Materialien, sinnvolle Lichtführung.


Zirkularität und Suffizienz: Weniger ist mehr

Ein zentrales Thema des Gesprächs ist die Idee der zirkulären Architektur. Dabei geht es darum, Materialien wiederverwendbar, rückbaubar und möglichst sortenrein einzusetzen. Laar warnt vor einem „Rebound-Effekt“ der grünen Architektur: Ein energieeffizienter Bau darf nicht dazu führen, dass mehr oder größere Gebäude gebaut werden – die Nachhaltigkeit geht dabei verloren. Stattdessen plädiert er für Suffizienz: weniger Fläche, smartere Nutzung, Reduktion auf das Wesentliche.

Ein Zukunftsmodell sei das „Bauen mit dem, was da ist“ – also Bestandsumbauten statt Abriss und Neubau. Besonders in Städten müsse das Denken in Kreisläufen zur Norm werden: urban mining, modulare Bauteile, langlebige Grundrisse.


Bildung und interdisziplinäre Zusammenarbeit als Schlüssel

Seit 2019 leitet Laar den Masterstudiengang „Healthy and Sustainable Buildings“ in Pfarrkirchen. Er berichtet von Studierenden aus aller Welt, die sich mit großem Engagement für nachhaltiges Bauen einsetzen. Die Ausbildung ist stark interdisziplinär: Architektur, Technik, Gesundheitswissenschaften und Gesellschaftstheorie fließen zusammen.

Laar sieht großen Aufklärungsbedarf in der Bevölkerung – etwa in Bezug auf vermeintlich „grüne“ Technologien. Eine Wärmepumpe z. B. sei nur so gut wie die bauliche Hülle, in der sie arbeitet. Auch bei der Photovoltaik sei das große Potenzial erst ausgeschöpft, wenn Dächer, Fassaden und Speicher intelligent integriert würden.


Vision: Architektur als Teil einer regenerativen Kultur

Zum Abschluss formuliert Laar eine weitreichende Vision: Architektur soll nicht nur weniger schaden, sondern aktiv Gutes tun – für Umwelt und Gesellschaft. Er spricht von „regenerativer Architektur“, die Biodiversität fördert, Luftqualität verbessert, Gemeinschaft stärkt. Das Gebäude der Zukunft ist für ihn ein „atmender Organismus“, verankert im lokalen Kontext, offen für Anpassung, sozial gerecht und kulturell verankert.

Er sieht dabei auch die Architekten in der Pflicht: Sie müssten sich als Vermittler verstehen – zwischen Technik, Gesellschaft und Natur. Mit kreativer Gestaltung, Verantwortung und Empathie könnten sie den Wandel mitgestalten.


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Prof. Dr. Marco Wilkens: Wie Finanzmärkte die Transformation zur Nachhaltigkeit beeinflussen

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Vom Sparkassen-Azubi zum Finanzprofessor

Prof. Dr. Marco Wilkens leitet den Lehrstuhl für Finanz- und Bankwirtschaft an der Universität Augsburg. Seine akademische Laufbahn begann nach einer Sparkassenausbildung mit einem Studium in Hamburg, führte ihn über Göttingen und Ingolstadt nach Augsburg. Heute ist er u. a. im Vorstand des Zentrums für Klimaresilienz und Mitglied der Wissenschaftsplattform Sustainable Finance. Seine Forschung konzentriert sich auf nachhaltige Finanzmärkte und deren Einfluss auf die Realwirtschaft.


Haben Investoren wirklich Einfluss?

Ein zentrales Thema im Gespräch: Können Investoren die Wirtschaft nachhaltiger machen? Wilkens unterscheidet zwischen realwirtschaftlichen Investitionen (z. B. Solaranlage aufs Firmendach) und Finanzinvestitionen (z. B. Kauf eines Aktienfonds). Dabei betont er drei zentrale Wirkungskanäle nachhaltiger Finanzprodukte:

  1. Engagement: Investoren nutzen Stimmrechte, etwa auf Hauptversammlungen (Voting) oder im direkten Dialog mit Unternehmen (Voicing).

  2. Kapitalumschichtung: Wenn viele Investoren „braune“ (nicht nachhaltige) Aktien meiden und „grüne“ kaufen, steigen die Preise nachhaltiger Unternehmen, was deren Finanzierung erleichtert.

  3. Desinvestment (Divestment): Der Verkauf umweltschädlicher Aktien kann Signalwirkung entfalten – und Wilkens’ Forschung zeigt, dass das auch tatsächlich geschieht.


Wissenschaftlich nachgewiesen: Divestment wirkt

Eine vielzitierte Studie von Wilkens und seinem Team zeigt erstmals empirisch, dass Unternehmen, aus denen viele Fonds gleichzeitig desinvestieren, einen signifikanten Kursrückgang erleiden – und dass sie ihr Verhalten tatsächlich ändern: Ihr CO₂-Ausstoß sinkt messbar stärker als bei Vergleichsunternehmen. Der Effekt ist zwar nicht dramatisch, aber nachweisbar. Diese Forschung wurde von der Stiftung Mercator unterstützt, wobei Wilkens betont, dass die wissenschaftliche Unabhängigkeit stets gewahrt blieb.


ESG-Ratings und EU-Taxonomie: Orientierung oder Wildwuchs?

Ein weiteres Thema ist die Bewertung der Nachhaltigkeit von Unternehmen. ESG-Ratings (Environmental, Social, Governance) sind verbreitet, aber in ihrer Aussagekraft oft widersprüchlich. Unterschiedliche Agenturen kommen zu stark abweichenden Einschätzungen. Wilkens sieht in der EU-Taxonomie einen Versuch, hier mehr Einheitlichkeit zu schaffen. Diese listet wirtschaftliche Aktivitäten, die zur nachhaltigen Transformation beitragen – etwa bestimmte Gaskraftwerke oder Atomenergie unter engen Auflagen. Auch wenn politische Kompromisse eine Rolle spielen, sieht Wilkens in der Taxonomie ein wichtiges, EU-weit einheitliches Werkzeug.


CO₂-Preis, Zertifikate und externe Kosten

Ein großer Teil des Gesprächs widmet sich der Internalisierung externer Kosten – vor allem durch CO₂-Bepreisung. Wilkens verweist auf das Prinzip der Pigou-Steuer (100 Jahre alt), bei dem Unternehmen für die von ihnen verursachten gesellschaftlichen Kosten zahlen sollen. Das europäische Emissionshandelssystem (ETS) ist ein anderer Weg: Durch ein CO₂-Budget und handelbare Zertifikate soll die Gesamtmenge an Emissionen gedeckelt werden.

Interessanter Befund aus Wilkens' aktueller Forschung: Rund 40 % des heutigen Unternehmenswerts bestehen im Schnitt aus „nicht bezahlten“ zukünftigen Umweltschäden. Würden diese Kosten korrekt eingepreist, wären die Firmen also massiv weniger wert.


Wissenschaft zwischen Erkenntnis und politischer Realität

Zum Schluss geht es um politische Umsetzbarkeit: Soll man CO₂ über Budgets oder über Senken begrenzen? Wilkens verweist auf die praktische Notwendigkeit, politische Mehrheiten zu organisieren. Die Unsicherheiten über „richtige“ CO₂-Preise (die Schätzungen reichen von 70 € bis über 1000 € pro Tonne) erschweren klare politische Vorgaben. Dennoch: Ein funktionierender Zertifikathandel mit echtem Cap (Obergrenze) könne viel bewirken – vorausgesetzt, die Politik bleibt standhaft.


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https://energiespeicher.blogspot.com/p/energiegesprache-mit-eduard-heindl.html

Martin Doppelbauer

Prof. Dr.-Ing. Martin Doppelbauer: Elektromobilität, Motorentechnik und die Zukunft des Antriebs

Das vollständige Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Martin Doppelbauer auf YouTube.


Vom Zufall zur Elektromotoren-Exzellenz

Prof. Martin Doppelbauer, Elektrotechnik-Professor am KIT und langjähriger Entwickler bei SEW Eurodrive, ist einer der führenden Experten für Elektromotoren weltweit. Sein Einstieg in die Motorentechnik war ursprünglich ein Zufall – doch daraus entstand eine beeindruckende Karriere, die von Grundlagenforschung über industrielle Anwendungen bis hin zu internationalen Normungsgremien reicht.

Elektromotoren: Vom Schwergewicht zum Hochleistungsmodul

Elektromotoren gibt es seit über 200 Jahren – doch die letzten 30 Jahre haben eine Revolution gebracht: neue Materialien, seltene Erden, bessere Kühlung und präzise Simulationen machen heutige Motoren bis zu 100-mal leistungsfähiger als ihre Vorgänger. Ein 200-kW-Motor, der früher eine Tonne wog, passt heute in zwei Hände. Diese Fortschritte ermöglichen kompakte, hocheffiziente Antriebe – ob im Auto, in der Drohne oder im Zug.

Batterie oder Wasserstoff? Eine Effizienzfrage

Lithium-Ionen-Akkus waren ein Quantensprung gegenüber Blei- und Nickelbatterien. Zwar gibt es Alternativen wie Natrium- oder Aluminium-Akkus, doch diese sind vor allem kostengünstiger – nicht leistungsfähiger. Wasserstoff hingegen gilt trotz großer medialer Präsenz als ineffizienter und sicherheitstechnisch herausfordernder Energieträger: Mit realen Wirkungsgraden unter 30 % sei er laut Doppelbauer dem Batterieantrieb klar unterlegen – insbesondere im Pkw-Bereich. Auch Metallhydridspeicher oder Tankstellenkonzepte mit Elektrolyse sieht er skeptisch.

Hybrid, Range Extender und Radnabenmotor: Viele Ideen, wenig Chancen

Technisch faszinierend, wirtschaftlich aber problematisch: Konzepte wie Range Extender (kleiner Verbrennungsmotor als Stromquelle im E-Auto) oder Radnabenmotoren (E-Motor direkt im Rad) bringen Nachteile bei Effizienz, Gewicht, Kosten oder Dynamik. Hybridfahrzeuge wie der Toyota Prius hätten ihre Berechtigung gehabt – heute seien sie aber durch reine Batterie-Elektroautos überholt. Lediglich in Spezialfällen (z. B. mit Wohnwagen oder im Gebirge) könnten sie noch Vorteile bieten.

Ladesäulen, Netze und Laternenparker

Das Ladenetz wächst, aber die Verteilnetze sind laut Doppelbauer der Engpass: In Altbauten kann oft nicht beliebig viele 11-kW-Anschlüsse bereitgestellt werden. Die Lösung liegt in smarter Steuerung (Lastmanagement) und lokalem PV-Strom. Für Menschen ohne eigene Garage seien viele AC-Ladepunkte mit geringer Leistung entscheidend – nicht Highspeed-Lader an jeder Ecke. Auch beim Ladenetz auf Autobahnen entkräftet er Mythen: Stromtankstellen bräuchten weniger Platz als klassische Zapfsäulen.

Sicherheitsmythen: Elektroautos brennen seltener

Trotz medialer Berichte ist die Realität klar: Elektroautos brennen seltener als Verbrennerfahrzeuge – laut Studien teils bis zu 60-mal seltener. Auch beim Überschlagen und Seitenaufprall seien E-Fahrzeuge durch den tiefen Batterie-Schwerpunkt und stabile Bauweise überlegen. Wasserstoffautos hingegen bringen laut Doppelbauer reale Risiken mit sich – insbesondere in der Breitenanwendung durch Laien.

Ausblick: Was funktioniert – und was nicht

Doppelbauer plädiert für Technologieoffenheit, aber auch für Klarheit: Wasserstoff sieht er im Pkw als „weltweit erledigt“, für den Lkw vielleicht diskussionswürdig. Brennstoffzellen, Ammoniak oder synthetische Kraftstoffe seien entweder ineffizient, teuer oder weit von der Praxis entfernt. Stattdessen brauche es ein intelligentes Stromnetz, pragmatische Ladeinfrastruktur und politische Planung, um Elektromobilität sinnvoll und massentauglich zu machen.

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Prof. Ulrich Bruhnke

Prof. Ulrich Bruhnke

Ingenieurskunst für die Energiewende

Ulrich Bruhnke, Maschinenbauingenieur und Honorarprofessor, war jahrzehntelang in Führungspositionen bei Mercedes, AMG und in der Zulieferindustrie tätig. Heute bringt er sein Wissen bei der Firma Obrist ein. Sein Ziel: Technologien zur CO₂-Reduktion, die wirtschaftlich skalierbar sind. Im Zentrum steht ein neues Konzept der Elektromobilität – das serielle Hybridfahrzeug – das bezahlbar, ressourcenschonend und zugleich emissionsarm sein soll.

Das ganze Video auf YouTube Ulrich Bruhnke

Serielle Hybridtechnik: Der kleine Motor macht den Unterschied

Das serielle Hybridfahrzeug ist ein Elektroauto, bei dem ein kleiner, effizienter Zweizylinder-Motor bei Bedarf die Batterie lädt. Der Clou: Der Verbrennungsmotor läuft nur im optimalen Betriebspunkt und wird vorher erwärmt, wodurch Emissionen drastisch reduziert werden. Kaltstarts – Hauptquelle von Schadstoffen – entfallen. Dadurch lässt sich Elektromobilität mit kleinerer Batterie, geringerer Rohstoffbelastung und günstigerem Preis realisieren. Ein Beispiel: Ein modifiziertes Tesla Model Y ließe sich so laut Bruhnke für rund 22.000–24.000 € herstellen.

Methanol als Schlüssel zur CO₂-negativen Energie

Ein zentrales Element des Obrist-Konzepts ist synthetisches Methanol, das CO₂-negativ hergestellt wird – aus Luft-CO₂ per „Direct Air Capture“ und mit Sonnenstrom aus Wüstenregionen. Die so erzeugte Energieform sei günstig, speicherbar und transportfähig. Bestehende Infrastruktur wie Tanklaster oder Pipelines kann weitergenutzt werden. Das Methanol dient nicht nur als Fahrzeugtreibstoff, sondern kann auch die chemische Industrie oder Heizsysteme versorgen – mit positiver CO₂-Bilanz.

Vom Sonnenstrom zur globalen Industrie

Die Produktion in solaren Wüstenregionen verspricht laut Bruhnke extrem günstige Strompreise (unter 1 ct/kWh). Das mache die Herstellung von CO₂-neutralem Methanol wirtschaftlich – auch im Vergleich zu fossilen Varianten. Die Perspektive: Exportfähige Energieprodukte aus Regionen, deren Öl irgendwann nicht mehr verkäuflich ist. Damit könnten neue Einnahmequellen entstehen. Ein Vorteil für Produzentenländer, aber auch für Industriegesellschaften, die neue Energieträger brauchen.

Mehr als Mobilität: Werkstoffe, Beton und Baustoffrevolution

Ein Nebeneffekt der Methanol-basierten CO₂-Extraktion: Kohlenstoff wird als Nebenprodukt abgeschieden – verwendbar u.a. für Carbonfasern. Diese können etwa in Carbonbeton zum Einsatz kommen, der bei gleicher Stabilität deutlich weniger Zement benötigt. Da die Zementherstellung ca. 7–8 % des weltweiten CO₂-Ausstoßes verursacht, wäre das eine massive Einsparung. Bruhnke sieht darin einen Baustein für eine CO₂-negative Bauwirtschaft.

Klimaneutralität mit Ingenieurverstand – aber ohne Verbote

Zum Schluss warnt Bruhnke vor einem überregulierten Weg in die Klimaneutralität. Statt pauschaler Verbote brauche es technologieoffene Rahmenbedingungen, die CO₂-Vermeidung belohnen – unabhängig vom Weg dorthin. Methanol aus erneuerbaren Quellen könnte z.B. Heizsysteme klimaneutral machen, wo Wärmepumpen ungeeignet sind. Wichtig sei, dass Politik, Ingenieurwesen und Recht enger zusammenarbeiten, um realistische und effektive Lösungen umzusetzen.