Prof. Dr. Gregor Dorfleitner: Nachhaltigkeit in der Finanzwelt verstehen
Vom Derivate-Spezialisten zum Pionier nachhaltiger Finanzierungen
Prof. Dr. Gregor Dorfleitner, Direktor des Center of Finance an der Universität Regensburg, hat einen ungewöhnlichen Werdegang: Nach seinem Mathematikstudium fand er über eine Stelle am Statistiklehrstuhl zum Thema DAX-Futures in die Finanzwissenschaft. Als Professor in Wien befasste er sich zunächst mit Financial Engineering. Doch die Vorboten der Finanzkrise 2008 ließen ihn zweifeln, ob er auf dem „richtigen“ Weg sei. Sein Interesse verlagerte sich auf sinnstiftendere Forschung – insbesondere in der nachhaltigen Finanzierung.
Sein Einstieg erfolgte über Mikrofinanzinstitutionen: Kredite an Menschen in Entwicklungsländern, die damit wirtschaftlich eigenständig werden. Daraus entwickelte sich seine bis heute andauernde Auseinandersetzung mit Impact Investing, das neben Rendite auch ökologische und soziale Wirkungen anstrebt.
ESG: Dreidimensionale Bewertung von Unternehmen
Ein zentrales Thema des Gesprächs ist die ESG-Bewertung – Environmental, Social, Governance. Dorfleitner erklärt die Unterschiede zwischen klassischen Ratings (etwa Triple-A für sichere Staatsanleihen) und ESG-Ratings, die zusätzlich Nachhaltigkeitsaspekte messen.
Während klassische Ratings die Rückzahlungswahrscheinlichkeit bewerten, beurteilen ESG-Ratings z. B. CO₂-Emissionen (Scope 1–3), Arbeitsbedingungen, Lieferketten, Korruptionsprävention oder Diversität im Management. Die Datenlage ist komplex: Ratingagenturen verarbeiten teils 800 Kennzahlen pro Unternehmen, gewichten sie unterschiedlich – was zu abweichenden Ergebnissen führen kann.
Dorfleitner plädiert dafür, diese Vielfalt nicht als Makel zu sehen: Es existieren eben unterschiedliche ethische Maßstäbe. Was für den einen nachhaltig ist (z. B. eine Brauerei), ist für den anderen ein Ausschlusskriterium.
Grüne Anleihen und Informationskosten
Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Unternehmen gibt eine Anleihe heraus, um seine Produktionshallen mit Photovoltaik auszustatten. Wird die Mittelverwendung zweckgebunden und nachvollziehbar grün, spricht man von einem „Green Bond“. Für solche Anleihen gibt es wiederum eigene Ratinganbieter.
Private wie institutionelle Anleger nutzen ESG-Informationen, um ihre Investments mit persönlichen Werten oder Risikoeinschätzungen abzugleichen. Dorfleitner erläutert den Effekt der Informationskosten: Wer auf ESG-Kriterien achtet, zahlt z. B. für Datenbanken oder Analysten – was aber gut investiertes Geld sein kann, wenn es hilft, Risiken zu vermeiden.
Unternehmen und nachhaltige Investitionen: Rendite entscheidet
Unternehmen wiederum investieren nur dann in „grüne“ Projekte, wenn sie sich rechnen – oder entsprechende Förderungen erhalten. Ein CFO berichtete etwa, dass sich eine Investition in einen Hybridofen (Gas/Strom) ohne staatlichen Zuschuss nicht lohnt, obwohl er nachhaltiger wäre.
Hier zeigt sich die Rolle der Politik: Mit gezielten Zuschüssen kann der Staat Investitionsentscheidungen lenken, ohne die Marktlogik zu sprengen. Aber: Nachhaltige Investitionen müssen langfristig auch wirtschaftlich tragfähig sein – sonst sind sie nicht nachhaltig im ökonomischen Sinne.
EU-Taxonomie: Normierung mit Nebenwirkungen
Mit der EU-Taxonomie kommt eine staatlich regulierte ESG-Klassifikation ins Spiel. Sie schreibt Unternehmen vor, welche Aktivitäten als „ökologisch nachhaltig“ gelten, orientiert an sechs Umweltzielen (u. a. Klimaschutz, Biodiversität, Kreislaufwirtschaft). Unternehmen müssen selbstständig berichten, wie viel ihres Umsatzes, ihrer Investitionen oder Tätigkeiten diesen Kriterien genügen.
Kritiker bemängeln den bürokratischen Aufwand, besonders für kleine und mittlere Unternehmen. Dorfleitner erkennt die Systematik der Taxonomie an, warnt aber vor einer möglichen Planwirtschaft durch übermäßige Regulierung. Transparenz sei wichtig – doch Aufwand und Nutzen müssten im Gleichgewicht bleiben.
Greenwashing und Wirkung von ESG-Investments
Greenwashing – also der Versuch, sich durch gezielte PR oder Zertifikate „grüner“ darzustellen als man tatsächlich ist – bleibt eine Herausforderung. Insbesondere, wenn über CO₂-Zertifikate eine vermeintliche Klimaneutralität erreicht wird, ohne realen Wandel im Unternehmen.
Trotzdem sieht Dorfleitner ESG-Investitionen nicht nur als „Wohlfühlentscheidung“ (warm glow), sondern als rationalen Weg, Risiken zu minimieren und Unternehmen langfristig resilienter zu machen. Die Renditeunterschiede zwischen grünen und herkömmlichen Anleihen seien gering, doch die Marktdynamik wachse stetig.
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Stichworte: ESG-Rating, nachhaltige Geldanlage, Green Bonds, EU-Taxonomie, Unternehmensfinanzierung