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Freitag, 25. Juli 2025

Prof. Dr. Wolfgang Eberhard

 Gespräch mit Prof. Dr. Wolfgang Eberhardt

Das vollständige Gespräch mit Prof. Dr. Wolfgang Eberhardt auf YouTube

Einführung in die Energiewende

Im Gespräch mit Prof. Dr. Eduard Heindl erörtert Prof. Dr. Wolfgang Eberhardt, ein renommierter Energieexperte, die Herausforderungen und Lösungen der Energiewende. Mit seiner langjährigen Erfahrung, unter anderem bei Exxon und als wissenschaftlicher Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrums Berlin, beleuchtet er die Entwicklung und den aktuellen Stand der erneuerbaren Energien. Das Gespräch fand an der Hochschule Furtwangen statt, einer Region mit hohem Solarpotenzial, und thematisiert die Rolle von Photovoltaik, Batterietechnologien und politischen Rahmenbedingungen.

Fortschritte in der Photovoltaik

Eberhardt betont, dass die Photovoltaik-Technologie, insbesondere mit kristallinem Silizium, ausgereift ist und 80 % des theoretischen Wirkungsgrads erreicht. Die Herausforderung liegt nicht mehr in der Technologieentwicklung, sondern in der kostengünstigen, großflächigen Produktion, wie sie etwa in China erfolgreich umgesetzt wird. Perowskit-Schichten als Alternative werden kritisch gesehen, da sie instabil sind und problematische Materialien wie Blei enthalten. Multischichtsysteme auf Siliziumbasis könnten jedoch die Effizienz weiter steigern.

Elektromobilität und Effizienzgewinne

Ein zentrales Thema ist die Elektromobilität. Eberhardt, selbst Tesla-Fahrer, hebt die hohe Energieeffizienz von Elektromotoren hervor, die im Vergleich zu Verbrennungsmotoren einen vierfachen Effizienzgewinn bieten. Batterien haben sich als langlebiger erwiesen, als oft angenommen, mit Lebensdauern von über 170.000 km. Dennoch sieht er Herausforderungen bei schweren Nutzfahrzeugen, wo die Energiedichte noch optimiert werden muss. Wasserstoff wird als Ergänzung für spezielle Anwendungen wie die Luftfahrt diskutiert, ist aber aufgrund der geringen Energiedichte pro Volumen für Flugzeuge problematisch.

Herausforderungen der Energiespeicherung

Die Speicherung von Energie, insbesondere zur Bewältigung saisonaler Schwankungen, bleibt eine große Herausforderung. Eberhardt schlägt vor, Überschussstrom durch Elektrolyse in Wasserstoff umzuwandeln, der dann in Gasturbinen oder für synthetische Kraftstoffe genutzt werden kann. Superkondensatoren könnten kurzfristige Leistungsspitzen abfangen, wie in Shanghai bei elektrischen Bussystemen bereits erfolgreich demonstriert. Langfristig sieht er die Notwendigkeit, die europäische Strominfrastruktur auszubauen, um geografische Schwankungen in der Erzeugung auszugleichen.

Kernenergie und politische Rahmenbedingungen

Eberhardt plädiert für eine differenzierte Sicht auf die Kernenergie, insbesondere auf Thorium-Reaktoren, die weniger problematische Abfälle produzieren und nicht für Waffen geeignet sind. Er kritisiert die deutsche Energiewende, die die vorhandenen Kernkraftwerke abschaltet, während andere Länder wie Polen oder Frankreich neue bauen. Politische Entscheidungen, die von Wählerstimmen beeinflusst werden, behindern oft den Ausbau von Übertragungsleitungen und erneuerbaren Energien. Er fordert eine ehrlichere Kommunikation mit der Bevölkerung über notwendige Infrastrukturmaßnahmen.

Globale Perspektiven und Klimaschutz

Das Gespräch thematisiert auch globale Ansätze, wie das Desertec-Projekt, das Solarenergie aus der Sahara nutzen könnte, aber durch politische Instabilität erschwert wird. Eberhardt betont die Notwendigkeit, CO2-Emissionen drastisch zu reduzieren, um die Anreicherung in der Atmosphäre zu stoppen. Er verweist auf die Keeling-Kurve, die zeigt, dass die Natur bereits einen Teil des CO2 absorbiert, und plädiert für eine europaweite Kooperation, um die Energiewende erfolgreich zu gestalten.

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Wichtige Stichworte: Photovoltaik, Elektromobilität, Energiespeicherung, Kernenergie, Klimaschutz

Prof. Dr. Gregor Dorfleitner

 Prof. Dr. Gregor Dorfleitner: Nachhaltigkeit in der Finanzwelt verstehen

Das vollständige Gespräch mit Prof. Dr. Gregor Dorfleitner auf YouTube


Vom Derivate-Spezialisten zum Pionier nachhaltiger Finanzierungen

Prof. Dr. Gregor Dorfleitner, Direktor des Center of Finance an der Universität Regensburg, hat einen ungewöhnlichen Werdegang: Nach seinem Mathematikstudium fand er über eine Stelle am Statistiklehrstuhl zum Thema DAX-Futures in die Finanzwissenschaft. Als Professor in Wien befasste er sich zunächst mit Financial Engineering. Doch die Vorboten der Finanzkrise 2008 ließen ihn zweifeln, ob er auf dem „richtigen“ Weg sei. Sein Interesse verlagerte sich auf sinnstiftendere Forschung – insbesondere in der nachhaltigen Finanzierung.

Sein Einstieg erfolgte über Mikrofinanzinstitutionen: Kredite an Menschen in Entwicklungsländern, die damit wirtschaftlich eigenständig werden. Daraus entwickelte sich seine bis heute andauernde Auseinandersetzung mit Impact Investing, das neben Rendite auch ökologische und soziale Wirkungen anstrebt.


ESG: Dreidimensionale Bewertung von Unternehmen

Ein zentrales Thema des Gesprächs ist die ESG-Bewertung – Environmental, Social, Governance. Dorfleitner erklärt die Unterschiede zwischen klassischen Ratings (etwa Triple-A für sichere Staatsanleihen) und ESG-Ratings, die zusätzlich Nachhaltigkeitsaspekte messen.

Während klassische Ratings die Rückzahlungswahrscheinlichkeit bewerten, beurteilen ESG-Ratings z. B. CO₂-Emissionen (Scope 1–3), Arbeitsbedingungen, Lieferketten, Korruptionsprävention oder Diversität im Management. Die Datenlage ist komplex: Ratingagenturen verarbeiten teils 800 Kennzahlen pro Unternehmen, gewichten sie unterschiedlich – was zu abweichenden Ergebnissen führen kann.

Dorfleitner plädiert dafür, diese Vielfalt nicht als Makel zu sehen: Es existieren eben unterschiedliche ethische Maßstäbe. Was für den einen nachhaltig ist (z. B. eine Brauerei), ist für den anderen ein Ausschlusskriterium.


Grüne Anleihen und Informationskosten

Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Unternehmen gibt eine Anleihe heraus, um seine Produktionshallen mit Photovoltaik auszustatten. Wird die Mittelverwendung zweckgebunden und nachvollziehbar grün, spricht man von einem „Green Bond“. Für solche Anleihen gibt es wiederum eigene Ratinganbieter.

Private wie institutionelle Anleger nutzen ESG-Informationen, um ihre Investments mit persönlichen Werten oder Risikoeinschätzungen abzugleichen. Dorfleitner erläutert den Effekt der Informationskosten: Wer auf ESG-Kriterien achtet, zahlt z. B. für Datenbanken oder Analysten – was aber gut investiertes Geld sein kann, wenn es hilft, Risiken zu vermeiden.


Unternehmen und nachhaltige Investitionen: Rendite entscheidet

Unternehmen wiederum investieren nur dann in „grüne“ Projekte, wenn sie sich rechnen – oder entsprechende Förderungen erhalten. Ein CFO berichtete etwa, dass sich eine Investition in einen Hybridofen (Gas/Strom) ohne staatlichen Zuschuss nicht lohnt, obwohl er nachhaltiger wäre.

Hier zeigt sich die Rolle der Politik: Mit gezielten Zuschüssen kann der Staat Investitionsentscheidungen lenken, ohne die Marktlogik zu sprengen. Aber: Nachhaltige Investitionen müssen langfristig auch wirtschaftlich tragfähig sein – sonst sind sie nicht nachhaltig im ökonomischen Sinne.


EU-Taxonomie: Normierung mit Nebenwirkungen

Mit der EU-Taxonomie kommt eine staatlich regulierte ESG-Klassifikation ins Spiel. Sie schreibt Unternehmen vor, welche Aktivitäten als „ökologisch nachhaltig“ gelten, orientiert an sechs Umweltzielen (u. a. Klimaschutz, Biodiversität, Kreislaufwirtschaft). Unternehmen müssen selbstständig berichten, wie viel ihres Umsatzes, ihrer Investitionen oder Tätigkeiten diesen Kriterien genügen.

Kritiker bemängeln den bürokratischen Aufwand, besonders für kleine und mittlere Unternehmen. Dorfleitner erkennt die Systematik der Taxonomie an, warnt aber vor einer möglichen Planwirtschaft durch übermäßige Regulierung. Transparenz sei wichtig – doch Aufwand und Nutzen müssten im Gleichgewicht bleiben.


Greenwashing und Wirkung von ESG-Investments

Greenwashing – also der Versuch, sich durch gezielte PR oder Zertifikate „grüner“ darzustellen als man tatsächlich ist – bleibt eine Herausforderung. Insbesondere, wenn über CO₂-Zertifikate eine vermeintliche Klimaneutralität erreicht wird, ohne realen Wandel im Unternehmen.

Trotzdem sieht Dorfleitner ESG-Investitionen nicht nur als „Wohlfühlentscheidung“ (warm glow), sondern als rationalen Weg, Risiken zu minimieren und Unternehmen langfristig resilienter zu machen. Die Renditeunterschiede zwischen grünen und herkömmlichen Anleihen seien gering, doch die Marktdynamik wachse stetig.


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Stichworte: ESG-Rating, nachhaltige Geldanlage, Green Bonds, EU-Taxonomie, Unternehmensfinanzierung

Donnerstag, 24. Juli 2025

Prof. Dr. Matthias Bethge

 Prof. Dr. Matthias Bethge: Wie Maschinen lernen – und was das mit unserem Gehirn zu tun hat

Das vollständige Gespräch mit Prof. Dr. Matthias Bethge auf YouTube.

Von der Physik zur Künstlichen Intelligenz

Matthias Bethge studierte Physik und Mathematik, promovierte in Bremen und forschte in Berkeley am renommierten Redwood Center for Theoretical Neuroscience. Heute ist er Professor an der Universität Tübingen und eine der führenden Stimmen in der KI-Forschung Europas. Sein Interesse an neuronalen Netzen begann zufällig: Ein Seminar zur „nichtlinearen Dynamik in neuronalen Systemen“ weckte sein wissenschaftliches Feuer. Von der Synapsenforschung ging es über Bildverarbeitung bis zur modernen KI.

Wie kommt die Welt in den Kopf?

Bethge beschreibt die grundlegende Frage seiner Forschung so: „Wie kommt die Welt in den Kopf?“ Dabei ist das menschliche Gehirn ein System von rund 100 Milliarden Neuronen, die in komplexer Weise Informationen verarbeiten. Besonders fasziniert ihn die Netzhaut, da man hier exakt messen kann, wie Lichtreize verarbeitet und weitergeleitet werden. Diese biologische Signalverarbeitung liefert Vorbilder für KI-Systeme. Anders als klassische Computer, die Informationen in klaren Schritten verarbeiten, arbeitet das Gehirn mit massiv parallelen, oft nichtlinearen Prozessen – und ist dabei erstaunlich effizient.

Lernen in Mensch und Maschine

Während KI-Modelle wie ChatGPT mit riesigen Datenmengen und der sogenannten Backpropagation lernen, verwendet das Gehirn andere Strategien. Trotzdem gibt es Überschneidungen: Lokale Lernregeln im Gehirn – etwa das sogenannte „Häppchenlernen“ – ähneln in Grundzügen dem maschinellen Training. Bethge beschäftigt sich intensiv mit „Continual Learning“: der Fähigkeit, ständig neues Wissen aufzunehmen, ohne das Alte zu vergessen. In dieser Disziplin ist das Gehirn der KI noch deutlich überlegen.

Sprache als Schlüsseltechnologie

Ein Meilenstein in der KI war die effektive Verarbeitung natürlicher Sprache. Bethge betont: Sprachmodelle wie ChatGPT haben durch Skalierung (mehr Daten, größere Modelle) eine neue Qualität erreicht. Besonders spannend findet er den Übergang von reiner Textverarbeitung zu Systemen, die Werkzeuge benutzen, Aufgaben selbstständig erledigen und mit ihrer Umwelt interagieren – sogenannte Agentensysteme. Diese Entwicklungen könnten auch unsere Gesellschaft transformieren.

KI, Gesellschaft und Verantwortung

Bethge sieht die Menschheit vor einer doppelten Herausforderung: Technologisch schreitet KI rasant voran, während gesellschaftliche Strukturen mit dieser Dynamik kaum Schritt halten. Besonders wichtig ist ihm die Frage, wie wir KI so gestalten, dass sie den Menschen unterstützt – etwa durch persönliche Assistenten, die unabhängig von kommerziellen Interessen agieren. Auch der Datenschutz, Bildung und ein fairer Zugang zu Technologie sind für ihn zentrale Themen.

Europa muss Verantwortung übernehmen

Angesichts geopolitischer Verschiebungen, etwa dem wachsenden Autoritarismus in den USA, sieht Bethge Europa in einer entscheidenden Rolle: „Wir müssen unsere Werte verteidigen – mit Technologie, Ideen und Zusammenarbeit.“ Das Tübinger Forschungsumfeld sei stark, aber er wünscht sich mehr private Investitionen und eine bessere Verknüpfung von Grundlagenforschung und industrieller Umsetzung. Der Brain Drain Richtung USA sei lange Realität gewesen – nun könnten sich neue Chancen ergeben, Talente zurückzugewinnen.


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Stichworte: Gehirn und KI, Lernen, neuronale Netze, Sprachmodelle, Europa und Technologiepolitik

Mittwoch, 23. Juli 2025

Anna-Julia Storch

 Anna-Julia Storch – Zwischen Skispitze und KI-Start-up

Das vollständige Gespräch mit Anna-Julia Storch auf YouTube

Vom Skirennen ins Stanford-Labor

Anna-Julia Storch, aufgewachsen in Marktneukirch, hat einen bemerkenswerten Lebensweg eingeschlagen: Mit Disziplin und Ehrgeiz schaffte sie den Spagat zwischen Leistungssport und Schulbildung – und zwar auf höchstem Niveau. Ein 1,0-Abitur, sportliche Spitzenleistungen bis zur westamerikanischen Meisterschaft im Skirennen, und später ein Masterstudium in Data Science an der renommierten Stanford University prägen ihren Werdegang. Früh lernte sie, dass Priorisierung, wenig Schlaf und konsequentes Arbeiten entscheidend sind, wenn man Großes erreichen will.


Zwischen kalifornischem Fortschritt und deutscher Gründlichkeit

Storch kennt beide Welten: das leistungsorientierte, technologiegetriebene Kalifornien ebenso wie die eher konservative, differenzierte Hochschullandschaft Deutschlands. In Stanford, erzählt sie, sei der Leistungsdruck hoch, aber inspirierend – man umgebe sich mit Menschen, die die Welt verändern wollen. In Deutschland hingegen mangele es oft an Leistungsfreude, die sich etwa auch in der Rücknahme von Formaten wie den Bundesjugendspielen zeige. Für sie ist klar: Wettbewerb und Anstrengung führen zu Glück und Erfüllung – sowohl im Sport als auch im Beruf.


KI für die reale Welt: Das Start-up Drift

Mit ihrem Start-up Dryft, gegründet in den USA, entwickelt Anna-Julia Storch KI-Agenten zur Optimierung von Lieferketten. Zielgruppe: mittelgroße und große Industrieunternehmen mit komplexen Produkten. Die KI analysiert unstrukturierte Daten, erkennt Veränderungen und schlägt autonom Handlungen vor – etwa Bestellungen verschieben oder Lieferanten absagen. Der Effizienzgewinn kann Millionen einsparen. Besonders wichtig war ihr, ein Produkt zu entwickeln, das greifbaren Nutzen für bodenständige Industrieunternehmen schafft – nicht nur digitale Spielereien.


Technologie, Gesellschaft und Zukunft

Storch sieht den Klimawandel als ernstes, aber lösbares Problem – durch Innovation, nicht durch Panik oder Verbote. Sie schätzt Demonstrationen als Katalysatoren gesellschaftlicher Aufmerksamkeit, lehnt aber radikale Formen des Protests ab. Den Kernenergieausstieg hält sie für einen strategischen Fehler Deutschlands: In ihren Kreisen gilt der Ausstieg überwiegend als falsch.

Künstliche Intelligenz ist für sie das zentrale Zukunftsthema – auch in Bezug auf Energieverbrauch, Regulierung und gesellschaftlichen Wandel. Die größte Herausforderung: die sogenannte AGI (Artificial General Intelligence), also KI mit menschenähnlicher Intelligenz. Sie sieht in ihr Chancen, Arbeit von Routine zu befreien – hin zu mehr Mensch-zu-Mensch-Interaktion und sinnstiftender Tätigkeit.


Gründerin, Frau, Vorbild

Als Frau in der Tech-Start-up-Szene fühlt sie sich nicht diskriminiert, sieht aber strukturelle Gründe für den geringen Anteil an Gründerinnen: fehlende Vorbilder und geringere Risikobereitschaft. Umso mehr will sie selbst zum Vorbild werden – ohne sich aufzudrängen. Ihr Leitspruch: "Ich will weise und nützlich sein." Geld sei zweitrangig, entscheidend sei ein spannendes, bedeutungsvolles Leben.


Blick nach vorn: Bildung, Arbeit und Verantwortung

Storch plädiert für ein Bildungssystem, das fordert und inspiriert. Noten und Wettbewerb seien in jungen Jahren wichtige Motivatoren. Die zunehmende politische Zersplitterung sieht sie kritisch: Deutschland brauche wieder Persönlichkeiten, die über Parteigrenzen hinweg Einigkeit stiften können. Die Rolle Europas in der globalen Tech-Welt sieht sie gefährdet, wenn Talente weiterhin vor allem in die USA abwandern.


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Stichworte:
Künstliche Intelligenz, Leistungssport, Start-up-Gründung, Energiepolitik, Bildungssystem

Dienstag, 22. Juli 2025

Jürgen Schöttle

 Jürgen Schöttle

Das vollständige Gespräch mit Jürgen Schöttle auf YouTube.

Vom Schlosser zum Kraftwerksprofi

Jürgen Schöttle, Jahrgang 1942, begann seine berufliche Laufbahn mit einer Schlosserlehre, gefolgt von einem Maschinenbaustudium in Konstanz. 40 Jahre war er bei Siemens tätig – im Kraftwerksbau, insbesondere bei Kernkraftwerken. Seine Aufgaben reichten von der Konstruktion über die Montage bis zur weltweiten Leitung des Servicebereichs thermischer Kraftwerke. Seine tiefe technische Erfahrung und sein lebenslanger Umgang mit Energieanlagen prägen auch seine Sicht auf aktuelle Entwicklungen.

Technik, Sicherheit und jahrzehntelange Erfahrung

Schöttle spricht mit Respekt über die hohe Sicherheit und technische Raffinesse der Kernkraftwerke. Er schildert, wie auf jedes Detail geachtet wird: Schweißnähte an Reaktordruckbehältern wurden per Ultraschall mehrfach kontrolliert, Berechnungen doppelt geprüft. Die Sicherheitskultur – geprägt von konservativem Design und mehrstufiger Redundanz – sei ein Markenzeichen deutscher Ingenieurskunst.

Vom Bau zum Service – weltweit im Einsatz

Ab 1992 verantwortete Schöttle bei Siemens den Servicebereich thermischer Kraftwerke weltweit. Ob Gas-, Kohle- oder Kernkraftwerke: sein Team sorgte für Instandhaltung, Modernisierung und Reaktionsfähigkeit bei Problemen. Dabei erlebte er die Internationalisierung der Energieversorgung – mit teils sehr unterschiedlichen Standards und Herangehensweisen je nach Land.

Der Ausstieg und die verlorene Expertise

Kritisch betrachtet Schöttle den deutschen Atomausstieg. Die sichere und leistungsstarke Technologie sei aufgegeben worden – und mit ihr auch das über Jahrzehnte aufgebaute Know-how. Junge Ingenieure hätten heute kaum noch Zugang zu praktischer Ausbildung an Reaktoren. Eine Wiederinbetriebnahme abgeschalteter Anlagen hält er aus rechtlichen und politischen Gründen für ausgeschlossen, rein technisch aber möglich.

Stromnetz unter Stress – neue Anforderungen, alte Probleme

Mit Sorge sieht Schöttle die zunehmenden Herausforderungen im Stromnetz. Die fluktuierende Einspeisung aus Wind und Sonne stellt hohe Anforderungen an die Netzstabilität. Früher sei die Netzfrequenz mit rotierenden Massen der Turbinen stabilisiert worden – heute fehlt diese Trägheit. Ohne Grundlastträger wie Kern- oder Kohlekraftwerke werde das System instabiler und störanfälliger.

Energietechnik in der Schule

Nach dem Berufsleben brachte Schöttle seine Erfahrung ehrenamtlich in einer Realschule ein – insbesondere im Fach Physik. Sein Ziel: jungen Menschen ein realistisches Verständnis von Energie, Technik und physikalischen Grundlagen zu vermitteln. Für ihn ist klar: Energiedebatten müssen auf Fakten beruhen, nicht auf Wunschdenken.


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Stichworte: Kernkraftwerke, Siemens, Netzstabilität, Energietechnik, Reaktorsicherheit

Montag, 21. Juli 2025

Dr. Nico Wehrle

Interview mit Dr. Nico Wehrle: Energiespeicher und die Zukunft der Energieversorgung

Das vollständige Gespräch mit Dr. Nico Wehrle auf YouTube.

Einführung und Hintergrund von Dr. Nico Wehrle

Dr. Nico Wehrle, Maschinenbauingenieur und Experte für Energiespeicher, hat in Deutschland zu diesem Thema promoviert. Seine berufliche Laufbahn begann in der Kernenergie, wo er in Heidelberg bei einem Unternehmen für kerntechnische Berechnungen tätig war. Später wechselte er zu einem Hersteller von Wasser- und Wärmemesstechnik im Schwarzwald, wo er sich intensiv mit Energiespeicherung auseinandersetzte, insbesondere mit dem Konzept des Gravity Storage. Sein Interesse an der Kombination von erneuerbaren Energien und Speichersystemen führte zu seiner Dissertation, die sich mit der Ermittlung des Speicherbedarfs und den zugehörigen Kosten in Deutschland beschäftigt.

Herausforderungen der erneuerbaren Energien

Erneuerbare Energien wie Wind- und Solarenergie sind volatil und nicht kontinuierlich verfügbar, im Gegensatz zu fossilen oder nuklearen Energiequellen. Dr. Wehrle betont, dass die Schwankungen dieser Energiequellen – besonders bei Windkraft, die zwischen 18 und 24 Prozent Nutzungsgrad variiert, während Solarenergie stabiler bei 10 bis 11 Prozent liegt – einen erheblichen Speicherbedarf erzeugen. Um diesen Bedarf zu ermitteln, analysierte er öffentlich zugängliche Daten von Übertragungsnetzbetreibern und dem Solaren Forschungsinstitut Freiburg. Diese Daten, die in 15-Minuten- bis stündlichen Intervallen vorliegen, ermöglichen es, den Strombedarf und die Stromerzeugung über das Jahr hinweg zu berechnen und den Speicherbedarf abzuleiten.

Vielfalt der Speichertechnologien

Dr. Wehrle untersuchte verschiedene Speichertechnologien, die jeweils unterschiedliche Anforderungen erfüllen. Lithium-Ionen-Batterien bieten einen hohen Wirkungsgrad (ca. 95 %) und schnelle Reaktionszeiten, sind jedoch für große Kapazitäten teuer. Zink-Luft-Speicher sind kostengünstiger, da Zink ein preiswerter Werkstoff ist, und ermöglichen eine unabhängige Skalierung von Energiewandler und Speicher. Pumpspeichersysteme nutzen komprimierte Luft und thermodynamische Prozesse für große Speicherkapazitäten, sind aber langsamer. Power-to-Gas-Technologien, wie Wasserstoff- oder Methanspeicherung, bieten große Kapazitäten, haben jedoch geringere Wirkungsgrade (33–35 %). Besonders die Methanisierung, bei der Wasserstoff in Methan umgewandelt wird, könnte bestehende Erdgasspeicher mit einer Kapazität von etwa 220 Terawattstunden nutzen.

Kostenfaktoren und Speicherzyklen

Die Kosten eines Speichersystems hängen stark von der Anzahl der Entladezyklen ab. Lithium-Ionen-Batterien, die häufig genutzt werden, sind aufgrund ihrer hohen Zyklenzahl kosteneffizienter, da sich die Investitionskosten auf viele Zyklen verteilen. Im Vergleich dazu sind saisonale Speicher, die nur wenige Zyklen pro Jahr haben, teurer, da die Investitionskosten auf wenige Entladungen umgelegt werden müssen. Dr. Wehrle schätzt, dass die Speicherkosten bei einer vollständigen Versorgung durch erneuerbare Energien das Drei- bis Vierfache der Stromerzeugungskosten betragen könnten. Der Strompreis könnte somit von 5–6 Cent pro Kilowattstunde auf 15–20 Cent steigen, wenn Speichertechnologien eingesetzt werden.

Integration von Kernenergie und anderen Quellen

Dr. Wehrle sieht in der Kernenergie ein großes Potenzial, um die Grundlast abzusichern und den Speicherbedarf zu reduzieren. Er plädiert für eine nüchterne Diskussion über Kernenergie, da sie im Vergleich zu fossilen Brennstoffen wie Kohle deutlich weniger gesundheitsschädlich ist. Neue Technologien wie kleine modulare Reaktoren auf Thorium-Basis könnten kostengünstiger und flexibler sein. Eine Mischung aus 50–60 % Kernenergie und 40–50 % erneuerbaren Energien mit einem gut dimensionierten Speichersystem könnte ein stabiles und kosteneffizientes Energiesystem ermöglichen. Er betont, dass eine vollständige Abhängigkeit von erneuerbaren Energien den Speicherbedarf vervierfachen oder verfünffachen würde.

Zukunft der Energieversorgung

Blickt man in die Zukunft, ist Dr. Wehrle optimistisch. Er glaubt, dass Kernenergie, insbesondere durch Fortschritte bei modularen Reaktoren oder Kernfusion, eine zentrale Rolle spielen wird. Gleichzeitig sollten erneuerbare Energien weiter ausgebaut werden, um fossile Brennstoffe zu ersetzen. Er sieht Potenzial in dezentralen Lösungen wie Solaranlagen mit Wärmepumpen, die den Netzbedarf reduzieren können. Importe von Wasserstoff aus Ländern wie Australien hält er für möglich, aber nicht ideal, da die Abhängigkeit von externen Quellen vermieden werden sollte. Langfristig plädiert er für eine Kombination aus lokalen Lösungen und einer Reduktion der Verbrennungstechnologien, um die Umweltbelastung zu minimieren.

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Stichworte: Energiespeicher, erneuerbare Energien, Kernenergie, Speichertechnologien, Stromkosten

Hauke Rathjen

 Hauke Rathjen

Das vollständige Gespräch mit Hauke Rathjen auf YouTube.

Vom Kind der Region zum Standortkommunikator

Hauke Rathjen ist in Sichtweite des Kernkraftwerks Brokdorf aufgewachsen. Als 14-Jähriger fuhr er mit dem Fahrrad am Kraftwerk vorbei und fragte sich, was unter der Kuppel passiert. 2007 wurde er Standortkommunikator – ein Beruf, der Öffentlichkeitsarbeit mit lokaler Verwurzelung verbindet. Rathjen kennt die Region, die Menschen – und die Geschichte des Kraftwerks.

Ein Druckwasserreaktor mit Weltrekorden

Brokdorf ist ein Druckwasserreaktor, 1986 ans Netz gegangen – direkt nach dem Unfall in Tschernobyl. Mit bis zu 12 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr versorgte es ganz Hamburg einschließlich der Industrie. Das Kraftwerk war zwei Mal Weltmeister in der Jahresstromproduktion und wurde regelmäßig gewartet, dabei jährlich ca. 50 von 193 Brennelementen ausgetauscht. Die Anlage galt als hoch flexibel: Seit 2000 regelte sie ihre Leistung netzstabilisierend entsprechend der Windstärke.

Sicherheit, Transparenz und Nullereignisse

Brokdorf hatte keine kerntechnischen Unfälle. Das Sicherheitssystem war redundant und streng überwacht. Sogenannte „Nullereignisse“, oft minimale Abweichungen ohne sicherheitstechnische Relevanz, wurden trotzdem gemeldet – eine Praxis, die für andere Industrien unüblich ist. Auch auf Pandemien, Naturereignisse und Stromausfälle war die Anlage vorbereitet.

Kosten, Rückbau und politischer Wille

Entgegen verbreiteter Kritik war die Kernenergie in Brokdorf wirtschaftlich erfolgreich. Es gab keine Subventionen, aber steuerliche Erleichterungen beim Aufbau. Der Rückbau begann nach der Abschaltung am 31.12.2021 und soll bis 2039 abgeschlossen sein. Ziel ist die „Brennstofffreiheit“ – 99 % der Radioaktivität lagern in den Brennelementen. Diese werden im Zwischenlager in der Nähe verwahrt.

Rückbau statt Reaktivierung

Ein Wiedereinstieg in den Betrieb wäre theoretisch machbar, praktisch jedoch unwahrscheinlich: Politischer Wille, rechtlicher Rahmen, Fachkräfte und Know-how fehlen zunehmend. Der Reaktordruckbehälter wurde bereits beprobt, erste Rückbauschritte sind erfolgt.

Vom Atomstrom zur Batterie

Die Zukunft des Geländes liegt in der Stromspeicherung: Ein Batteriespeicher mit bis zu 1.600 Megawattstunden Kapazität ist geplant. Ein symbolischer Wandel – vom Kraftwerk für Grundlaststrom zur Pufferbatterie für ein volatiles Energiesystem.


Dank geht an den Verein Nuklearia e.V. (www.nuklearia.de), der das Gespräch vermittelt hat.

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Stichworte: Brokdorf, Kernkraftwerk, Rückbau, Netzstabilität, Brennelemente

Samstag, 19. Juli 2025

Estelle Herlyn

 Prof. Dr. Estelle Herlyn

Das vollständige Gespräch mit Prof. Dr. Estelle Herlyn auf YouTube.

Nachhaltigkeit ganzheitlich denken – nicht nur ökologisch

Prof. Dr. Estelle Herlyn macht gleich zu Beginn deutlich: Nachhaltigkeit ist weit mehr als Klimaschutz. In ihrer Forschung und Praxis legt sie großen Wert auf die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – ökologisch, sozial und ökonomisch – und deren Balance. Sie warnt vor der Engführung aktueller Debatten, die oft einseitig auf CO₂-Faktoren fokussieren, während soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Tragfähigkeit zu kurz kommen. Besonders in Entwicklungs- und Schwellenländern brauche es differenzierte Strategien, um nachhaltige Transformationen fair und effektiv zu gestalten.


Vom CO₂-Kompensieren zur Transformation: Die Allianz für Entwicklung und Klima

Herlyn schildert die Entstehung und Zielsetzung der „Allianz für Entwicklung und Klima“, die sie zusammen mit BMZ und GIZ initiiert hat. Ziel war es, freiwillige CO₂-Kompensation mit entwicklungspolitischen Maßnahmen zu verbinden. Unternehmen, Institutionen und Städte sollen nicht nur Emissionen ausgleichen, sondern gleichzeitig Entwicklungsprojekte fördern – etwa durch Wiederaufforstung, nachhaltige Landwirtschaft oder Zugang zu Energie. Heute zählt die Allianz über 1400 Unterstützer und wird von einer Stiftung weitergeführt.


Global denken, lokal handeln – und umgekehrt

Ein zentraler Punkt des Gesprächs ist die Frage: Was können wir im globalen Norden tun, um den globalen Süden nicht weiter zu benachteiligen? Herlyn betont, dass Klimaschutzmaßnahmen auch soziale Nebenwirkungen haben. Wenn CO₂-Preise steigen, treffe das Haushalte mit geringem Einkommen besonders hart – in Deutschland wie auch weltweit. Deshalb sei eine sozial ausbalancierte Klimapolitik notwendig, etwa durch Rückverteilung von Einnahmen an Bürger oder gezielte Investitionen in Entwicklungsländer.

Herlyn fordert außerdem eine Reform des Welthandels: Subventionen in der EU führen dazu, dass beispielsweise Tomatenmark in Westafrika billiger verkauft wird als lokal produzierte Ware – mit verheerenden Folgen für die dortige Landwirtschaft. Eine global faire Transformation müsse Handels- und Klimapolitik zusammendenken.


Bildung, Werte und Gemeinwohl neu ausrichten

Für eine langfristige Veränderung brauche es laut Herlyn nicht nur Technologien oder Märkte, sondern auch eine Kultur des Gemeinwohls. Bildung spiele dabei eine zentrale Rolle: Schulen und Hochschulen müssten Nachhaltigkeit nicht nur als Zusatzthema behandeln, sondern als Querschnittskompetenz. Herlyn sieht zudem die Wirtschaft in der Pflicht, sich neu auszurichten: Weg vom reinen Shareholder-Value hin zu Gemeinwohlorientierung, wie sie etwa im „Stiftung Senat der Wirtschaft“ oder in den Prinzipien der Gemeinwohlökonomie vertreten wird.


Wege aus der Polarisierung: Nachhaltigkeit braucht Dialog

Herlyn beobachtet mit Sorge die zunehmende Polarisierung in der Nachhaltigkeitsdebatte – zwischen Klimaklebern und Klimaleugnern, zwischen Wirtschaft und Umweltschutz. Sie plädiert für einen konstruktiven, sachlich fundierten Diskurs, in dem unterschiedliche Interessen anerkannt und integriert werden. Nachhaltigkeit sei ein „Wirkungsraum“, der gemeinsames Gestalten erfordere – über Parteigrenzen, Disziplinen und Länder hinweg. Die Lösung der großen Zukunftsfragen sieht sie in klugen Allianzen und systemischer Kooperation.


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Stichworte: ganzheitliche Nachhaltigkeit, CO₂-Kompensation & Entwicklung, soziale Gerechtigkeit, Gemeinwohlorientierung, systemische Transformation

Heinrich Fischer

Heinrich Fischer

Das vollständige Gespräch mit Heinrich Fischer auf YouTube.


Vom Unternehmer zum politischen Energie-Denker

Heinrich Fischer, Physiker, Elektroingenieur und Volkswirt, bringt jahrzehntelange Erfahrung aus der Spitzenindustrie mit. Nach Stationen bei IBM, Balzers, Saurer und Hilti engagiert er sich heute in energie- und europapolitischen Debatten der Schweiz. Sein Interesse an der Energiepolitik entstand aus der Sorge, dass die Grundlagen des schweizerischen Wohlstands gefährdet sein könnten – insbesondere durch unzureichend durchdachte Pläne zur Energieversorgung und den möglichen Verlust der nationalen Souveränität durch ein EU-Rahmenabkommen.


Wasserkraft und Atomenergie: Die Stärken der Schweiz

Fischer betont die außergewöhnliche Ausgangslage der Schweiz durch ihre 660 Stauseen und eine etablierte Kernkraft-Infrastruktur. Wasserkraft deckt etwa die Hälfte des Strombedarfs, Kernkraft ein weiteres Drittel. Diese Grundpfeiler bieten nicht nur Versorgungssicherheit, sondern auch eine CO₂-freie Stromerzeugung. Die Schweiz sei im Winter dank großer Speicherseen ein stabilisierender Faktor im europäischen Netz – wenn auch die Kapazitäten langfristig nicht ausreichen, um den Bedarf einer vollelektrifizierten Zukunft zu decken.


Energiewende mit Fallstricken

Trotz Förderung für Solaranlagen – insbesondere im alpinen Raum mit hohem Winterertrag – hemmen Bürokratie, Infrastrukturmängel und Investitionsunsicherheiten den Ausbau. Die Problematik: Im Sommer gibt es Stromüberschüsse, die kaum genutzt werden können, während im Winter Versorgungsengpässe drohen. Der Import von grünem Wasserstoff erscheint laut Fischer technisch und wirtschaftlich kaum realistisch. Die Dekarbonisierung müsse pragmatisch und technologieoffen gedacht werden – ohne ideologische Scheuklappen.


Europas Innovationsproblem und die Rolle der ETH

Fischer hebt die Innovationskraft der ETH Zürich hervor, wo er im Stiftungsrat tätig ist. Start-ups entstehen dort aus praxisnaher Forschung mit internationalem Anschluss. Doch Europa habe ein strukturelles Problem: Zu viele Regulierungen, zu wenig Risikofreude. Der Erfolg der Schweiz beruhe auch auf geringer Bürokratie und starkem Vertrauen der Bürger in den Staat. Länder wie Deutschland und Frankreich drohten laut Fischer im globalen Innovationsvergleich weiter zurückzufallen.


Demokratie als Fundament – und Hindernis?

Die direkte Demokratie in der Schweiz erlaube es, energie- und klimapolitische Ziele demokratisch zu legitimieren – aber auch lokale Projekte zu blockieren. Ein Ziel wie CO₂-Neutralität wird zwar mehrheitlich unterstützt, konkrete Wind- oder Solarkraftprojekte stoßen jedoch häufig auf Widerstand. Dennoch plädiert Fischer dafür, dieses politische System als Garant für Langfristigkeit und Akzeptanz zu erhalten – auch wenn es langsamer sei als zentralistische Modelle.


EU, Neutralität und geopolitische Herausforderungen

Fischer sieht die Schweiz als eigenständiges, innovationsgetriebenes Land, das seine Unabhängigkeit nicht durch ein übergriffiges EU-Rahmenabkommen aufgeben sollte. Gleichzeitig fordert er mehr Flexibilität in außen- und sicherheitspolitischen Fragen – etwa im Verhältnis zur NATO oder in der Haltung zu Russland. Die Schweiz müsse bereit sein, ihre Neutralität neu zu denken, ohne ihre demokratischen Prinzipien zu verraten.


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Stichworte: Schweiz Energiepolitik, Wasserkraft & Kernenergie, Innovationsförderung ETH, direkte Demokratie, EU-Rahmenabkommen

Michael Laar

 Prof. Dr. Michael Laar: Architektur als Hebel für eine nachhaltige Zukunft

Das vollständige Gespräch mit Prof. Dr. Michael Laar auf YouTube.


Nachhaltige Architektur beginnt mit Systemdenken

Prof. Dr. Michael Laar, Architekt und Professor für „Healthy and Sustainable Buildings“ am European Campus Rottal-Inn, beschreibt seinen Zugang zu Architektur als interdisziplinär und systemisch. Nachhaltigkeit beschränkt sich für ihn nicht nur auf Energieeffizienz, sondern bezieht Gesundheit, soziale Gerechtigkeit, Raumqualität und zirkuläres Wirtschaften mit ein. Er betont, dass Bauwerke Lebensräume sind, die in Wechselwirkung mit Mensch, Umwelt und Technik stehen.

In seinem Studium der Architektur in München und der Promotion an der Bauhaus-Universität Weimar habe er den Blick für diese größeren Zusammenhänge geschärft. Internationale Anerkennung fand er durch innovative Projekte in Brasilien, etwa eine emissionsfreie Schule in Rio de Janeiro, die energieautark betrieben werden kann.


Gebäude als Teil einer resilienten Gesellschaft

Laar sieht Gebäude nicht als technische Maschinen, sondern als Teil eines ökologischen Systems. Der Mensch steht dabei im Zentrum. Seine Projekte verfolgen das Ziel, Gebäude an den lokalen Kontext anzupassen: klimatisch, kulturell und sozial. Ein Beispiel ist sein Schulprojekt in Brasilien, das natürliche Ventilation und thermische Trägheit nutzt – ganz ohne konventionelle Klimaanlagen.

Für Mitteleuropa hebt er die Bedeutung robuster, reparierbarer Bausubstanz hervor. „Ein guter Altbau kann 200 Jahre genutzt werden“, sagt Laar. Die Langlebigkeit sei oft nachhaltiger als ein hochtechnisierter Neubau, der nach wenigen Jahrzehnten unbrauchbar werde. Wichtig sei dabei die nutzerzentrierte Gestaltung – einfache Bedienbarkeit, natürliche Materialien, sinnvolle Lichtführung.


Zirkularität und Suffizienz: Weniger ist mehr

Ein zentrales Thema des Gesprächs ist die Idee der zirkulären Architektur. Dabei geht es darum, Materialien wiederverwendbar, rückbaubar und möglichst sortenrein einzusetzen. Laar warnt vor einem „Rebound-Effekt“ der grünen Architektur: Ein energieeffizienter Bau darf nicht dazu führen, dass mehr oder größere Gebäude gebaut werden – die Nachhaltigkeit geht dabei verloren. Stattdessen plädiert er für Suffizienz: weniger Fläche, smartere Nutzung, Reduktion auf das Wesentliche.

Ein Zukunftsmodell sei das „Bauen mit dem, was da ist“ – also Bestandsumbauten statt Abriss und Neubau. Besonders in Städten müsse das Denken in Kreisläufen zur Norm werden: urban mining, modulare Bauteile, langlebige Grundrisse.


Bildung und interdisziplinäre Zusammenarbeit als Schlüssel

Seit 2019 leitet Laar den Masterstudiengang „Healthy and Sustainable Buildings“ in Pfarrkirchen. Er berichtet von Studierenden aus aller Welt, die sich mit großem Engagement für nachhaltiges Bauen einsetzen. Die Ausbildung ist stark interdisziplinär: Architektur, Technik, Gesundheitswissenschaften und Gesellschaftstheorie fließen zusammen.

Laar sieht großen Aufklärungsbedarf in der Bevölkerung – etwa in Bezug auf vermeintlich „grüne“ Technologien. Eine Wärmepumpe z. B. sei nur so gut wie die bauliche Hülle, in der sie arbeitet. Auch bei der Photovoltaik sei das große Potenzial erst ausgeschöpft, wenn Dächer, Fassaden und Speicher intelligent integriert würden.


Vision: Architektur als Teil einer regenerativen Kultur

Zum Abschluss formuliert Laar eine weitreichende Vision: Architektur soll nicht nur weniger schaden, sondern aktiv Gutes tun – für Umwelt und Gesellschaft. Er spricht von „regenerativer Architektur“, die Biodiversität fördert, Luftqualität verbessert, Gemeinschaft stärkt. Das Gebäude der Zukunft ist für ihn ein „atmender Organismus“, verankert im lokalen Kontext, offen für Anpassung, sozial gerecht und kulturell verankert.

Er sieht dabei auch die Architekten in der Pflicht: Sie müssten sich als Vermittler verstehen – zwischen Technik, Gesellschaft und Natur. Mit kreativer Gestaltung, Verantwortung und Empathie könnten sie den Wandel mitgestalten.


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Prof. Dr. Marco Wilkens: Wie Finanzmärkte die Transformation zur Nachhaltigkeit beeinflussen

Das vollständige Gespräch mit Prof. Dr. Marco Wilkens auf YouTube.


Vom Sparkassen-Azubi zum Finanzprofessor

Prof. Dr. Marco Wilkens leitet den Lehrstuhl für Finanz- und Bankwirtschaft an der Universität Augsburg. Seine akademische Laufbahn begann nach einer Sparkassenausbildung mit einem Studium in Hamburg, führte ihn über Göttingen und Ingolstadt nach Augsburg. Heute ist er u. a. im Vorstand des Zentrums für Klimaresilienz und Mitglied der Wissenschaftsplattform Sustainable Finance. Seine Forschung konzentriert sich auf nachhaltige Finanzmärkte und deren Einfluss auf die Realwirtschaft.


Haben Investoren wirklich Einfluss?

Ein zentrales Thema im Gespräch: Können Investoren die Wirtschaft nachhaltiger machen? Wilkens unterscheidet zwischen realwirtschaftlichen Investitionen (z. B. Solaranlage aufs Firmendach) und Finanzinvestitionen (z. B. Kauf eines Aktienfonds). Dabei betont er drei zentrale Wirkungskanäle nachhaltiger Finanzprodukte:

  1. Engagement: Investoren nutzen Stimmrechte, etwa auf Hauptversammlungen (Voting) oder im direkten Dialog mit Unternehmen (Voicing).

  2. Kapitalumschichtung: Wenn viele Investoren „braune“ (nicht nachhaltige) Aktien meiden und „grüne“ kaufen, steigen die Preise nachhaltiger Unternehmen, was deren Finanzierung erleichtert.

  3. Desinvestment (Divestment): Der Verkauf umweltschädlicher Aktien kann Signalwirkung entfalten – und Wilkens’ Forschung zeigt, dass das auch tatsächlich geschieht.


Wissenschaftlich nachgewiesen: Divestment wirkt

Eine vielzitierte Studie von Wilkens und seinem Team zeigt erstmals empirisch, dass Unternehmen, aus denen viele Fonds gleichzeitig desinvestieren, einen signifikanten Kursrückgang erleiden – und dass sie ihr Verhalten tatsächlich ändern: Ihr CO₂-Ausstoß sinkt messbar stärker als bei Vergleichsunternehmen. Der Effekt ist zwar nicht dramatisch, aber nachweisbar. Diese Forschung wurde von der Stiftung Mercator unterstützt, wobei Wilkens betont, dass die wissenschaftliche Unabhängigkeit stets gewahrt blieb.


ESG-Ratings und EU-Taxonomie: Orientierung oder Wildwuchs?

Ein weiteres Thema ist die Bewertung der Nachhaltigkeit von Unternehmen. ESG-Ratings (Environmental, Social, Governance) sind verbreitet, aber in ihrer Aussagekraft oft widersprüchlich. Unterschiedliche Agenturen kommen zu stark abweichenden Einschätzungen. Wilkens sieht in der EU-Taxonomie einen Versuch, hier mehr Einheitlichkeit zu schaffen. Diese listet wirtschaftliche Aktivitäten, die zur nachhaltigen Transformation beitragen – etwa bestimmte Gaskraftwerke oder Atomenergie unter engen Auflagen. Auch wenn politische Kompromisse eine Rolle spielen, sieht Wilkens in der Taxonomie ein wichtiges, EU-weit einheitliches Werkzeug.


CO₂-Preis, Zertifikate und externe Kosten

Ein großer Teil des Gesprächs widmet sich der Internalisierung externer Kosten – vor allem durch CO₂-Bepreisung. Wilkens verweist auf das Prinzip der Pigou-Steuer (100 Jahre alt), bei dem Unternehmen für die von ihnen verursachten gesellschaftlichen Kosten zahlen sollen. Das europäische Emissionshandelssystem (ETS) ist ein anderer Weg: Durch ein CO₂-Budget und handelbare Zertifikate soll die Gesamtmenge an Emissionen gedeckelt werden.

Interessanter Befund aus Wilkens' aktueller Forschung: Rund 40 % des heutigen Unternehmenswerts bestehen im Schnitt aus „nicht bezahlten“ zukünftigen Umweltschäden. Würden diese Kosten korrekt eingepreist, wären die Firmen also massiv weniger wert.


Wissenschaft zwischen Erkenntnis und politischer Realität

Zum Schluss geht es um politische Umsetzbarkeit: Soll man CO₂ über Budgets oder über Senken begrenzen? Wilkens verweist auf die praktische Notwendigkeit, politische Mehrheiten zu organisieren. Die Unsicherheiten über „richtige“ CO₂-Preise (die Schätzungen reichen von 70 € bis über 1000 € pro Tonne) erschweren klare politische Vorgaben. Dennoch: Ein funktionierender Zertifikathandel mit echtem Cap (Obergrenze) könne viel bewirken – vorausgesetzt, die Politik bleibt standhaft.


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Martin Doppelbauer

Prof. Dr.-Ing. Martin Doppelbauer: Elektromobilität, Motorentechnik und die Zukunft des Antriebs

Das vollständige Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Martin Doppelbauer auf YouTube.


Vom Zufall zur Elektromotoren-Exzellenz

Prof. Martin Doppelbauer, Elektrotechnik-Professor am KIT und langjähriger Entwickler bei SEW Eurodrive, ist einer der führenden Experten für Elektromotoren weltweit. Sein Einstieg in die Motorentechnik war ursprünglich ein Zufall – doch daraus entstand eine beeindruckende Karriere, die von Grundlagenforschung über industrielle Anwendungen bis hin zu internationalen Normungsgremien reicht.

Elektromotoren: Vom Schwergewicht zum Hochleistungsmodul

Elektromotoren gibt es seit über 200 Jahren – doch die letzten 30 Jahre haben eine Revolution gebracht: neue Materialien, seltene Erden, bessere Kühlung und präzise Simulationen machen heutige Motoren bis zu 100-mal leistungsfähiger als ihre Vorgänger. Ein 200-kW-Motor, der früher eine Tonne wog, passt heute in zwei Hände. Diese Fortschritte ermöglichen kompakte, hocheffiziente Antriebe – ob im Auto, in der Drohne oder im Zug.

Batterie oder Wasserstoff? Eine Effizienzfrage

Lithium-Ionen-Akkus waren ein Quantensprung gegenüber Blei- und Nickelbatterien. Zwar gibt es Alternativen wie Natrium- oder Aluminium-Akkus, doch diese sind vor allem kostengünstiger – nicht leistungsfähiger. Wasserstoff hingegen gilt trotz großer medialer Präsenz als ineffizienter und sicherheitstechnisch herausfordernder Energieträger: Mit realen Wirkungsgraden unter 30 % sei er laut Doppelbauer dem Batterieantrieb klar unterlegen – insbesondere im Pkw-Bereich. Auch Metallhydridspeicher oder Tankstellenkonzepte mit Elektrolyse sieht er skeptisch.

Hybrid, Range Extender und Radnabenmotor: Viele Ideen, wenig Chancen

Technisch faszinierend, wirtschaftlich aber problematisch: Konzepte wie Range Extender (kleiner Verbrennungsmotor als Stromquelle im E-Auto) oder Radnabenmotoren (E-Motor direkt im Rad) bringen Nachteile bei Effizienz, Gewicht, Kosten oder Dynamik. Hybridfahrzeuge wie der Toyota Prius hätten ihre Berechtigung gehabt – heute seien sie aber durch reine Batterie-Elektroautos überholt. Lediglich in Spezialfällen (z. B. mit Wohnwagen oder im Gebirge) könnten sie noch Vorteile bieten.

Ladesäulen, Netze und Laternenparker

Das Ladenetz wächst, aber die Verteilnetze sind laut Doppelbauer der Engpass: In Altbauten kann oft nicht beliebig viele 11-kW-Anschlüsse bereitgestellt werden. Die Lösung liegt in smarter Steuerung (Lastmanagement) und lokalem PV-Strom. Für Menschen ohne eigene Garage seien viele AC-Ladepunkte mit geringer Leistung entscheidend – nicht Highspeed-Lader an jeder Ecke. Auch beim Ladenetz auf Autobahnen entkräftet er Mythen: Stromtankstellen bräuchten weniger Platz als klassische Zapfsäulen.

Sicherheitsmythen: Elektroautos brennen seltener

Trotz medialer Berichte ist die Realität klar: Elektroautos brennen seltener als Verbrennerfahrzeuge – laut Studien teils bis zu 60-mal seltener. Auch beim Überschlagen und Seitenaufprall seien E-Fahrzeuge durch den tiefen Batterie-Schwerpunkt und stabile Bauweise überlegen. Wasserstoffautos hingegen bringen laut Doppelbauer reale Risiken mit sich – insbesondere in der Breitenanwendung durch Laien.

Ausblick: Was funktioniert – und was nicht

Doppelbauer plädiert für Technologieoffenheit, aber auch für Klarheit: Wasserstoff sieht er im Pkw als „weltweit erledigt“, für den Lkw vielleicht diskussionswürdig. Brennstoffzellen, Ammoniak oder synthetische Kraftstoffe seien entweder ineffizient, teuer oder weit von der Praxis entfernt. Stattdessen brauche es ein intelligentes Stromnetz, pragmatische Ladeinfrastruktur und politische Planung, um Elektromobilität sinnvoll und massentauglich zu machen.

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Prof. Ulrich Bruhnke

Prof. Ulrich Bruhnke

Ingenieurskunst für die Energiewende

Ulrich Bruhnke, Maschinenbauingenieur und Honorarprofessor, war jahrzehntelang in Führungspositionen bei Mercedes, AMG und in der Zulieferindustrie tätig. Heute bringt er sein Wissen bei der Firma Obrist ein. Sein Ziel: Technologien zur CO₂-Reduktion, die wirtschaftlich skalierbar sind. Im Zentrum steht ein neues Konzept der Elektromobilität – das serielle Hybridfahrzeug – das bezahlbar, ressourcenschonend und zugleich emissionsarm sein soll.

Das ganze Video auf YouTube Ulrich Bruhnke

Serielle Hybridtechnik: Der kleine Motor macht den Unterschied

Das serielle Hybridfahrzeug ist ein Elektroauto, bei dem ein kleiner, effizienter Zweizylinder-Motor bei Bedarf die Batterie lädt. Der Clou: Der Verbrennungsmotor läuft nur im optimalen Betriebspunkt und wird vorher erwärmt, wodurch Emissionen drastisch reduziert werden. Kaltstarts – Hauptquelle von Schadstoffen – entfallen. Dadurch lässt sich Elektromobilität mit kleinerer Batterie, geringerer Rohstoffbelastung und günstigerem Preis realisieren. Ein Beispiel: Ein modifiziertes Tesla Model Y ließe sich so laut Bruhnke für rund 22.000–24.000 € herstellen.

Methanol als Schlüssel zur CO₂-negativen Energie

Ein zentrales Element des Obrist-Konzepts ist synthetisches Methanol, das CO₂-negativ hergestellt wird – aus Luft-CO₂ per „Direct Air Capture“ und mit Sonnenstrom aus Wüstenregionen. Die so erzeugte Energieform sei günstig, speicherbar und transportfähig. Bestehende Infrastruktur wie Tanklaster oder Pipelines kann weitergenutzt werden. Das Methanol dient nicht nur als Fahrzeugtreibstoff, sondern kann auch die chemische Industrie oder Heizsysteme versorgen – mit positiver CO₂-Bilanz.

Vom Sonnenstrom zur globalen Industrie

Die Produktion in solaren Wüstenregionen verspricht laut Bruhnke extrem günstige Strompreise (unter 1 ct/kWh). Das mache die Herstellung von CO₂-neutralem Methanol wirtschaftlich – auch im Vergleich zu fossilen Varianten. Die Perspektive: Exportfähige Energieprodukte aus Regionen, deren Öl irgendwann nicht mehr verkäuflich ist. Damit könnten neue Einnahmequellen entstehen. Ein Vorteil für Produzentenländer, aber auch für Industriegesellschaften, die neue Energieträger brauchen.

Mehr als Mobilität: Werkstoffe, Beton und Baustoffrevolution

Ein Nebeneffekt der Methanol-basierten CO₂-Extraktion: Kohlenstoff wird als Nebenprodukt abgeschieden – verwendbar u.a. für Carbonfasern. Diese können etwa in Carbonbeton zum Einsatz kommen, der bei gleicher Stabilität deutlich weniger Zement benötigt. Da die Zementherstellung ca. 7–8 % des weltweiten CO₂-Ausstoßes verursacht, wäre das eine massive Einsparung. Bruhnke sieht darin einen Baustein für eine CO₂-negative Bauwirtschaft.

Klimaneutralität mit Ingenieurverstand – aber ohne Verbote

Zum Schluss warnt Bruhnke vor einem überregulierten Weg in die Klimaneutralität. Statt pauschaler Verbote brauche es technologieoffene Rahmenbedingungen, die CO₂-Vermeidung belohnen – unabhängig vom Weg dorthin. Methanol aus erneuerbaren Quellen könnte z.B. Heizsysteme klimaneutral machen, wo Wärmepumpen ungeeignet sind. Wichtig sei, dass Politik, Ingenieurwesen und Recht enger zusammenarbeiten, um realistische und effektive Lösungen umzusetzen.

Donnerstag, 24. April 2025

Anna Julia Storch im Gespräch mit Eduard Heindl

 Anna Julia Storch im Gespräch mit Eduard Heindl

Das gesamte Gespräch mit Anna Julia Storch auf YouTube


1. Leistungssport und Bildung: Ein Leben voller Disziplin

Anna Julia Storch, ehemalige Skirennläuferin und erfolgreiche Gründerin, berichtet von ihrem intensiven Alltag während ihrer Schul- und Sportkarriere. Sie schaffte es, trotz minimaler Schulpräsenz ein herausragendes Abitur zu absolvieren, indem sie ihre Zeit extrem priorisierte: wenig Schlaf, Verzicht auf Freizeitaktivitäten und strikte Fokussierung auf Sport und Lernen. Ihr Trainer und Schulleiter unterstützten sie, solange ihre Leistungen stimmten. Diese Erfahrung prägte ihre Einstellung zu Leistung und Disziplin.

2. Studium in Deutschland vs. USA: Unterschiede in Motivation und Gemeinschaft

Storch vergleicht ihre Studienzeit an der LMU München mit ihrem Master in Stanford. In Deutschland schätzte sie die Selbstständigkeit und den hohen fachlichen Anspruch, während sie in den USA die starke Gemeinschaft und den "Campus-Spirit" hervorhebt. Allerdings kritisiert sie die schulische Struktur und die oft fehlende intrinsische Motivation amerikanischer Studierender. Sie betont, dass europäische Studierende durch das deutsche System erwachsener und eigenverantwortlicher werden.

3. Gründertum und KI: Die Zukunft der Arbeitswelt

Mit ihrem Startup "Drift" entwickelt Storch KI-Lösungen für die Supply-Chain-Branche. Sie sieht große Potenziale in künstlicher Intelligenz, warnt aber vor den Herausforderungen wie Jobverlagerungen und ethischen Fragen. Storch glaubt, dass KI repetitive Aufgaben übernehmen wird, während Menschen sich auf kreative und soziale Tätigkeiten konzentrieren können. Sie ist überzeugt, dass Wettbewerb und Leistungsbereitschaft entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg sind – eine Haltung, die sie aus dem Leistungssport mitgebracht hat.

4. Politik und Gesellschaft: Deutschland vs. USA

Storch diskutiert die politischen Unterschiede zwischen Deutschland und den USA. Während sie das deutsche System für sachlicher hält, kritisiert sie die aktuelle Parteienzersplitterung. In den USA beobachtet sie eine stärkere Polarisierung, aber auch mehr Pragmatismus in der Wirtschaftspolitik. Sie plädiert für eine innovationsgetriebene Klimapolitik statt für Verbote und sieht Kernenergie als Teil der Lösung – eine Meinung, die sie mit vielen jungen Akademikern teilt.

5. Lebensphilosophie: "Wise and Useful"

Storchs Antrieb ist es, "weise und nützlich" zu sein. Sie arbeitet bis zu 100 Stunden pro Woche, hat aber auch langfristige Pläne wie eine Familie oder eine akademische Laufbahn. Sie betont, dass Erfolg für sie nicht an Mitarbeiterzahlen, sondern an Impact gemessen wird. Mit ihrem Werdegang – von der Spitzensportlerin zur KI-Unternehmerin – zeigt sie, wie viel mit Disziplin und Zielstrebigkeit erreicht werden kann. Ihr Appell: Leistung sollte gefördert, nicht zurückgedrängt werden – sei es im Sport, in der Schule oder in der Wirtschaft.


Das Gespräch gibt Einblicke in eine außergewöhnliche Karriere und regt zum Nachdenken über Bildung, Technologie und gesellschaftliche Werte an.

Sonntag, 16. März 2025

Lutz Jaitner über Kalte Fusion, LENR, im Energiegespräch

 Zusammenfassung des Energiegesprächs mit Lutz Jaitner

Das vollständige Gespräch mit Lutz Jaitner auf YouTube


1. Kalte Kernfusion: Historische Einordnung und Skepsis

Jaitner beschäftigt sich intensiv mit „Low Energy Nuclear Reactions“ (LENR), bekannter als kalte Kernfusion, seit er 2006 durch Literaturrecherche darauf aufmerksam wurde. Ursprünglich wurde dieses Phänomen 1989 durch die Experimente von Fleischmann und Pons bekannt, die behaupteten, kalte Fusion im Labor erreicht zu haben. Nachdem ihre Forschung zunächst weltweit Sensation hervorrief, wurde sie später als Wissenschaftsbetrug dargestellt. Jaitner zweifelte die ursprüngliche Erklärung (Überlappung der Wellenfunktion von Deuteronen) an und begann, eine neue Erklärung für das Phänomen zu entwickeln.

2. Beobachtungen vor 1989 und Probleme der Akzeptanz

Schon vor den bahnbrechenden Experimenten von Fleischmann und Pons gab es in den 1920er Jahren Beobachtungen unerklärlicher Energieerzeugung und Transmutationseffekte, die jedoch kaum publiziert wurden, da sie nicht ins damalige physikalische Weltbild passten. Aufgrund der Angst vor Rufschädigung hielten Wissenschaftler sich zurück, solche Ergebnisse öffentlich bekannt zu machen. Ähnlich war es bei Fleischmann und Pons, die ihr berühmtes Experiment nach einem Laborunfall entwickelten, bei dem unerwartet viel Energie freigesetzt wurde. Trotz dieser eindrücklichen Hinweise blieb die kalte Kernfusion umstritten und wurde teilweise aktiv diskreditiert.

3. Kondensierte Plasmoide als Erklärung für LENR

Lutz Jaitners Theorie basiert auf sogenannten kondensierten Plasmoiden (Condensed Plasmoids, CP). Dabei handelt es sich um extrem komprimierte Plasmafäden, die durch den sogenannten Z-Pinch-Effekt entstehen, bei dem magnetische Kräfte Plasma komprimieren. Diese Fäden können dünner als Atome werden, was quantenmechanische Effekte begünstigt, die wiederum Kernfusion ermöglichen. Diese Theorie liefert Erklärungen für viele bisher ungeklärte Beobachtungen der kalten Kernfusion, beispielsweise warum keine Gammastrahlen entstehen, obwohl Energie freigesetzt wird.

Die bekannte Elektrolyse mit Palladium sei laut Jaitner nur ein Sonderfall, der eigentlich ein Plasma-Phänomen ist, und nicht primär durch Effekte innerhalb des Festkörpers verursacht wird. In den ursprünglichen Experimenten von Fleischmann und Pons kam es zu kleinen, unsichtbaren Plasma-Funken („Microsparks“), die letztendlich zur beobachteten Fusion führten.

4. Experimentelle Nachweise und Schwierigkeiten der Reproduzierbarkeit

Die größte Schwierigkeit bei LENR-Experimenten sei die geringe Reproduzierbarkeit gewesen. Nicht jeder Versuch gelang, und die Ergebnisse variierten stark. Jaitner betont jedoch, dass die besten Ergebnisse bei Plasma-Elektrolyse erreicht wurden, insbesondere wenn hohe Stromdichten verwendet werden. Dies zeige, dass es nicht um klassische Elektrolyse gehe, sondern um die Bildung und Kompression kondensierter Plasmafäden.

Seine Gruppe arbeitet seit 2019 experimentell daran, diese Theorie zu bestätigen. Jaitner bemängelt jedoch, dass es aus politischen und wirtschaftlichen Gründen keine ausreichende Unterstützung für solche Projekte gibt, obwohl selbst die EU mit Projekten wie "Clean HME" versucht, in dem Bereich zu forschen—jedoch oft ohne echte Transparenz.

5. Die Rolle von Kugelblitzen

Kugelblitze werden von Jaitner als sehr gute Analogie für die Stabilität und Existenz kondensierter Plasmoide genannt. Während in westlichen Ländern kaum Forschungsinteresse bestehe, gebe es in Russland eine breite Akzeptanz und intensive Erforschung dieser Phänomene. Ein Beispiel russischer Forschung zeigte, dass Kugelblitze filamentäre Strukturen besitzen, die mit der CP-Theorie gut erklärbar sind. Solche Experimente bestätigen laut Jaitner, dass Kondensierte Plasmoide tatsächlich existieren und Kernfusion in ihnen stattfinden kann.

6. Zukunftsperspektiven und Forschungspolitik

Jaitner sieht ein enormes Potenzial für die Anwendung dieser Forschung in der Energiegewinnung. Allerdings bemängelt er weiterhin die unzureichende politische und finanzielle Unterstützung in Deutschland. Große internationale Firmen wie Google, Mitsubishi, und sogar Bill Gates investieren bereits in LENR-Forschung, allerdings oft unter Verschluss. Er hebt positiv hervor, dass Personen wie Florian Metzler oder auch die Physikerin Sabine Hossenfelder mittlerweile versuchen, LENR in der Öffentlichkeit transparenter darzustellen und so langsam Akzeptanz dafür zu schaffen.

Jaitner erwartet, dass es bald zu einem Durchbruch kommen könnte, und dass zahlreiche Unternehmen, die bisher zurückhaltend waren, bei einer ersten erfolgreichen Produkteinführung aktiv werden würden. Dennoch kritisiert er die mangelnde Transparenz bei staatlich finanzierten Projekten und sieht hierin ein großes Hindernis für den wissenschaftlichen Fortschritt.

Abschließend appelliert Jaitner dafür, unabhängige Forschung und offene Publikation wissenschaftlicher Erkenntnisse stärker zu fördern, um Innovationen wie die kalte Kernfusion nicht weiter auszubremsen.

Die vollständige Liste aller Energiegespräche finden Sie hier: https://energiespeicher.blogspot.com/p/energiegesprache-mit-eduard-heindl.html

Samstag, 1. März 2025

Zusammenfassung des Gesprächs mit Thorsten Künnemann

Das vollständige Gespräch mit Thorsten Künnemann auf YouTube


Einführung und Experimente mit Elektrizität

Thorsten Künnemann, Leiter des Technoramas seit 2008, beginnt das Gespräch mit einem praktischen Experiment zur Elektrizität. Er verwendet ein kleines Gerät mit LED-Lichtern, einem Lautsprecher und Elektroden, um zu zeigen, wie ein Stromkreis geschlossen werden kann. Statt eines Kupferdrahts nutzt er einen menschlichen Körper als Leiter, um den Stromkreis zu schließen. Dieses Experiment dient als Einstieg, um zu zeigen, wie Naturphänomene im Alltag erlebbar gemacht werden können. Künnemann erzählt auch von einer Anekdote, in der Schüler aus Dubai aufgrund kultureller Unterschiede Schwierigkeiten hatten, den Stromkreis durch Händchenhalten zu schließen, und wie sie das Problem mit einem Wasserglas lösten.

2. Technorama: Ein Science Center, kein Museum

Künnemann erklärt, dass das Technorama sich bewusst nicht als Museum, sondern als Science Center versteht. Im Gegensatz zu traditionellen Museen, die oft historische Objekte ausstellen, konzentriert sich das Technorama auf interaktive Exponate, die Naturphänomene erlebbar machen. Er betont, dass es nicht darum geht, Wissen zu vermitteln, sondern darum, Erfahrungen zu ermöglichen. Das Technorama hat sich von einem technischen Museum, das Maschinen ausstellte, zu einem Ort entwickelt, der Naturphänomene in den Vordergrund stellt. Künnemann zitiert Thomas Morus: „Tradition ist nicht das Bewahren der Asche, sondern die Weitergabe der Flamme“, um zu verdeutlichen, dass es nicht um die Bewahrung alter Technologien geht, sondern um die Vermittlung von Fähigkeiten, um neue Probleme zu lösen.

3. Entwicklung und Philosophie der Exponate

Das Technorama entwickelt seine Exponate selbst und hat eine eigene Werkstatt, in der Prototypen gebaut und getestet werden. Künnemann beschreibt den Prozess der Exponatentwicklung, bei dem aus 250 Ideen am Ende 30-40 Exponate übrig bleiben, die in die Ausstellung aufgenommen werden. Die Exponate sind so gestaltet, dass sie Fehler tolerieren und den Besuchern die Möglichkeit geben, zu experimentieren. Ein Beispiel ist ein Exponat, das den durchschnittlichen Niederschlag in einem Jahr darstellt und den Mittelwert mechanisch berechnet. Künnemann betont, dass die Exponate nicht nur informieren, sondern auch die Besucher dazu anregen sollen, miteinander zu interagieren und über die Phänomene zu diskutieren.

4. Mathematik und Naturwissenschaften erlebbar machen

Ein besonderer Fokus liegt darauf, Mathematik und Naturwissenschaften auf eine sinnliche und verständliche Art zu vermitteln. Künnemann erklärt, dass viele Menschen Mathematik als abstrakt und schwer verständlich empfinden, weil sie oft nur mit Zahlen und Formeln in Verbindung gebracht wird. Im Technorama werden mathematische Konzepte durch interaktive Exponate wie geometrische Rätsel oder Seifenblasenexperimente erlebbar gemacht. Ein Beispiel ist ein Exponat, das den Durchschnittswert von Niederschlagsdaten durch kommunizierende Röhren mechanisch berechnet. Künnemann betont, dass es darum geht, den Besuchern das Gefühl zu geben, dass Mathematik cool und verständlich ist.

5. Die Rolle des Technoramas in der Gesellschaft

Künnemann sieht das Technorama als einen Ort, der nicht nur Fachkräfte fördert, sondern auch die Gesellschaft insgesamt ermächtigt, sich mit naturwissenschaftlichen Themen auseinanderzusetzen. Er betont, dass es wichtig ist, dass Menschen ein Grundverständnis für Naturphänomene entwickeln, um an gesellschaftlichen Diskussionen teilnehmen zu können, z.B. über Energie oder Technologie. Das Technorama versteht sich als Ort der Aufklärung, der den Besuchern die Möglichkeit gibt, die Welt durch eigenes Verständnis zu begreifen und zu verändern. Künnemann sieht die Zukunft des Technoramas darin, weiterhin analoge Erfahrungen zu ermöglichen, in einer Welt, die zunehmend digital wird. 

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Samstag, 8. Februar 2025

Professor Dr. Franz Josef Radermacher im Energiegespräch



Energiegespräch mit Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Franz Josef Radermacher

Das vollständige Gespräch mit Professor Dr. Franz Josef Radermacher auf YouTube

1. Einleitung und persönlicher Hintergrund

Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Franz Josef Radermacher ist Mathematiker, promovierter Wirtschaftswissenschaftler und Informatiker. Er leitete das Forschungsinstitut für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung (FAW) und war bis 2018 Professor an der Universität Ulm. Bekannt wurde er vor allem durch seinen Einsatz für eine weltweite ökosoziale Marktwirtschaft und sein Engagement in der Global Marshall-Plan Initiative. Bereits in jungen Jahren (mit etwa 16/17) begann er sich intensiv mit globalen Zukunftsfragen und Ungleichheiten zu beschäftigen. Dabei erkannte er früh die zentrale Rolle von Ökonomie und Finanzsystemen, um große Probleme wie Überbevölkerung, Hunger und Umweltzerstörung anzugehen.

Sein Buch „All In – Energie und Wohlstand in einer wachsenden Welt“ (zusammen mit Bert Beyers) skizziert die Idee einer globalen ökosozialen Marktwirtschaft, in der sozial-ökonomische Entwicklung und Klimaschutz zusammengedacht werden. Entscheidend ist aus seiner Sicht, dass solche Konzepte wissenschaftlich fundiert sowie international tragfähig sind und nicht an kurzsichtigen nationalen Alleingängen scheitern.


2. Globale Ziele und Widersprüche

Die Vereinten Nationen haben mit den 17 Sustainable Development Goals (SDGs) einen ambitionierten Fahrplan für eine gerechtere und nachhaltigere Welt vorgelegt. Prof. Radermacher betont jedoch, dass diese Ziele häufig in sich widersprüchlich („inkonsistent“) sind. So kollidiere beispielsweise das Ziel „Kein Hunger“ (Zero Hunger) mit dem Klimaschutzziel, wenn Entwicklungs- und Schwellenländer nicht mehr CO₂ emittieren dürften, obwohl sie dringend mehr Energie benötigen, um ihre Bevölkerung zu ernähren und aus der Armut zu holen.

Ähnlich problematisch sei die Finanzierung: Viele UN-Ziele werden zwar feierlich verabschiedet, jedoch ohne hinreichende finanzielle und strukturelle Umsetzung. Ein Beispiel sind die Millenium Development Goals (MDGs) von 2000, die letztlich scheiterten, weil keine ausreichenden Mittel und Mechanismen hinterlegt wurden. In seiner Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (nun Chef der UNIDO) hebt Radermacher hervor, dass speziell das Ziel „Kein Hunger“ seit 2015 durch Pandemien und Konflikte wie den Ukraine-Krieg noch schwerer zu erreichen sei – die Hungerzahlen steigen sogar wieder an.


3. Entwicklungswege und internationale Vergleiche

China und Indien
China hat in den letzten Jahrzehnten Millionen Menschen aus der Armut geführt. Das gelang unter anderem durch massive Investitionen des Westens und die Integration in globale Wertschöpfungsketten. Gleichzeitig hat China dabei große Umwelt- und Klimabelastungen in Kauf genommen und ist heute für rund ein Drittel der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich. Auch Indien wächst rasant und strebt eine Klimaneutralität bis 2070 an.

Afrika
Demgegenüber ist Afrika durch Kolonialismus, willkürliche Grenzziehungen und interne Konflikte stark zersplittert. Viele afrikanische Staaten sind wirtschaftlich schwach, haben begrenzte Infrastrukturen und leiden unter anhaltenden Auseinandersetzungen um Ressourcen. Eine eigenständige, übergreifende afrikanische Entwicklungsstrategie ist daher schwer umzusetzen. Dennoch hält Radermacher die industrielle Entwicklung und Armutsbekämpfung für unabdingbar, um soziale Spannungen und Fluchtbewegungen zu reduzieren. Denn nur aus Armut herauszukommen ermöglicht es Ländern, langfristig klimafreundlich zu agieren.


4. Energiepolitik: Stärken und Schwächen aktueller Strategien

All Electric und „Klimanationalismus“
Radermacher kritisiert das deutsche Paradigma „All Electric“ (Strom aus erneuerbaren Quellen soll alle Energiebedarfe ersetzen) als zu teuer, zu instabil und zu eng gedacht. Die Stromerzeugung deckt weltweit nur etwa ein Drittel des gesamten Energiebedarfs ab; rund zwei Drittel beruhen nach wie vor auf Brennstoffen. Zudem erzeugen erneuerbare Energien wie Wind und Sonne volatile Einspeisungen, die große Speicher oder Backup-Systeme erfordern.
Er bemängelt außerdem eine Art „Klimanationalismus“, bei dem Deutschland und andere Staaten klimapolitische Maßnahmen vorrangig im eigenen Land umsetzen wollen, statt global kostengünstigere Optionen zu nutzen. Beispielsweise investiert Deutschland enorme Summen in E-Ladesäulen und Elektromobilität, während die Schweiz ihre Mittel zum Teil in Aufforstungsprojekte in Entwicklungsländern steckt. Dort wird mit wesentlich geringeren Kosten echtes CO₂ gebunden und zudem die Wirtschaft vor Ort belebt.

Carbon Capture und Kernkraft
Ein zentraler Baustein von Radermachers Strategie ist „Fossil mit Carbon Capture“: Fossile Brennstoffe bleiben im Einsatz, das entstehende CO₂ wird jedoch abgeschieden und in geeigneten Gesteinsschichten oder ehemaligen Erdöl-Lagerstätten eingelagert (CCS: Carbon Capture and Storage). So werden die Emissionen vermieden, ohne dass ganze Infrastrukturen und Industrien über Nacht aufgegeben werden müssen. Ein Beispiel dafür sind die USA, die bereits seit Jahrzehnten CO₂ in Pipelines transportieren, um damit in alten Förderstätten den Druck zu erhöhen und zusätzliches Erdöl/-gas zu gewinnen (Enhanced Oil Recovery).
Auch der Ausbau der Kernenergie wird weltweit wieder relevanter: China, die USA oder auch Tech-Konzerne setzen zunehmend auf Atomkraft, um verlässliche, CO₂-arme Stromquellen zu gewährleisten. Deutschland dagegen hat nach Fukushima einen radikalen Atomausstieg beschlossen, was laut Radermacher zu weiteren Kosten für den Stromsektor führt und die Energieversorgung zusätzlich verkompliziert.

Rolle der Biomasse und alternativer Kraftstoffe
Mit Blick auf Verkehr und Schwerlast betont Radermacher die Bedeutung biogener Treibstoffe wie HVO (Hydrotreated Vegetable Oil), das aus Rest- und Abfallfetten hergestellt wird. Dieser Kraftstoff ist fast klimaneutral, solange er aus nachhaltigen Quellen stammt. Zudem sei Biomasse in Form schnell wachsender Hölzer (etwa für Ethanol- oder Methanol-Herstellung) ein wichtiger Baustein, jedoch nicht beliebig skalierbar. Wirklich große CO₂-Senkungspotenziale sieht er in Aufforstung, Humusbildung und Renaturierung in tropischen Regionen.


5. Aufforstung, globale Finanzierungsansätze und die Rolle des Südens

Ein Schlüsselelement in Radermachers Konzept bildet die massive (Wieder-)Aufforstung weltweit: Eine Milliarde Hektar in den Tropen könnte CO₂ in großem Stil binden. Dort ist das Baumwachstum schnell, und zugleich entstünden neue Wertschöpfungsketten in Forst- und Holzwirtschaft. Dies würde nicht nur das globale Klima stabilisieren, sondern auch Armut lindern. Voraussetzung für solche Projekte sind vertragliche Regelungen auf Augenhöhe, damit Mittel aus den Industrieländern nicht als „Almosen“ missverstanden werden, sondern als Bezahlung für reale Klimadienstleistungen.

Bilaterale Verträge statt einseitiger Entwicklungshilfe
Radermacher plädiert für langfristige Verträge zwischen der OECD (als Vertreterin der reichen Staaten) und einzelnen Entwicklungsländern, in denen sich beide Seiten verpflichten: Der globale Süden schützt Waldgebiete, forstet auf oder verbessert Böden („Dekonditionierung“ der Emissionen) und erhält im Gegenzug verbindliche Zahlungen. Diese Gelder sind kein „Freikauf“ – sie ermöglichen die Erschließung wirtschaftlicher Perspektiven. Mit unabhängigen Kontrollmechanismen (z.B. Satellitenbilder) ließe sich sicherstellen, dass Wälder tatsächlich erhalten bleiben oder neu entstehen.

Finanzierung und globaler Handel mit Emissionen
Schon das Kyoto-Protokoll von 1997 sah mit dem „Clean Development Mechanism“ (CDM) vor, dass Industriestaaten Teile ihrer Emissionsminderungen im Ausland durch Projekte erzielen können. Allerdings blieb das Volumen gering. Im Pariser Abkommen (Artikel 6.4) wird dies erneut aufgegriffen und ermöglicht den Handel von CO₂-Minderungszertifikaten auf globaler Ebene. Während einige Länder (z.B. Schweiz, Japan) bereits erfolgreich in Aufforstung investieren, sperrt sich speziell Deutschland gegen diese Form der Kompensation und setzt lieber auf „Inlandsprojekte“.
Radermacher hält diesen national orientierten Ansatz für zu teuer und wenig wirksam. Internationale Emissionsmärkte könnten stattdessen Entwicklungen im Süden anstoßen, die gleichzeitig die CO₂-Bindung verbessern, Hunger lindern und den Lebensstandard heben. Wichtig sei, dass die reiche Welt endlich große Summen bereitstellt, um den notwendigen Strukturwandel zu finanzieren – dann wären viele Länder des globalen Südens willige Partner, zum beiderseitigen Vorteil.


Fazit
Prof. Franz Josef Radermacher verdeutlicht in diesem Gespräch, dass Klimaschutz untrennbar mit Armutsbekämpfung und globalen Wirtschaftsstrukturen verbunden ist. Er kritisiert eindimensional gedachte, rein nationale Strategien (All Electric, vollständiger Verzicht auf fossile Energieträger, Klimaschutz nur im eigenen Land) und spricht sich für mehrere parallele Ansätze aus:

  • Erneuerbare Energien, aber nur bis zu einer verlässlichen 50-%-Quote im Stromsektor.
  • Nuklearenergie und Carbon Capture als wichtige Bausteine, um verlässliche Energie zu sichern.
  • Aufforstung und Bodenverbesserung im Globalen Süden, um CO₂ zu binden und zugleich neue Märkte sowie Beschäftigung zu schaffen.
  • Verbindliche Verträge zwischen OECD-Staaten und Entwicklungsländern, sodass gezahlte Mittel nicht als „Entwicklungshilfe“, sondern als Gegenleistung für konkrete Klimadienstleistungen gelten.

Nur so ließe sich ein globaler Ausgleich organisieren, in dem Wohlstand und Klimaschutz Hand in Hand gehen. Letztlich müssen die „Spielregeln“ des internationalen Systems so verändert werden, dass alle Beteiligten einen Nutzen haben – im Idealfall bis 2070 mit einer CO₂-neutralen Welt, die trotzdem wirtschaftlich dynamisch wächst und den Menschen ein gutes Leben ermöglicht.

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