Gespräch mit Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer
Zusammenfassung des Gesprächs am 4. Dezember 2024
1. Einführung: Künstliche Intelligenz, Hirnforschung und Persönlichkeiten
Im Gespräch zwischen Prof. Eduard Heindl und Prof. Manfred Spitzer werden zentrale Themen rund um künstliche Intelligenz (KI), Hirnforschung, Bildung und gesellschaftliche Veränderungen diskutiert. Prof. Manfred Spitzer ist Neurowissenschaftler, Psychiater und seit 1998 ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Ulm. Er ist durch zahlreiche Publikationen bekannt, u. a. „Digitale Demenz“ oder sein aktuelles Buch über KI. Spitzer hat an der Harvard-Universität gelehrt und beschäftigt sich mit Fragen, wie das Gehirn Informationen verarbeitet, wie Lernen funktioniert und wie neuronale Netze höhergeistige Leistungen generieren.
Die beiden Gesprächspartner werfen einen weiten Blick auf die aktuellen Entwicklungen: Von den theoretischen Grundlagen der Hirnforschung über die Bedeutung moderner KI-Systeme bis hin zu ganz praktischen Anwendungen etwa in Medizin, Bildung oder bei der Bekämpfung des Klimawandels.
2. Hirnforschung und neuronale Netze: Das Gehirn verstehen
Spitzer schildert seine akademische Biografie: Er startete in der Medizin mit dem Plan, Chirurg zu werden, entwickelte dann aber ein tieferes Interesse an Psychologie und Philosophie. Daraus ergab sich der Weg in die Psychiatrie und Hirnforschung. In der frühen Phase seines Schaffens standen theoretische Überlegungen zu Wahn, Halluzination und Begriffsbildung im Vordergrund. Bald darauf lernte er neuronale Netzwerke und deren Bedeutung kennen. Diese bieten erstmals ein theoretisches Werkzeug, um zu verstehen, wie Nervenzellen komplexe geistige Leistungen hervorbringen.
Heute weiß man, dass Halluzinationen und Wahnphänomene durch bestimmte neuronale Muster erklärbar sind. Die Forschung kann mit Mausmodellen Stimmenhören analysieren oder verschiedene Aspekte von Wahrnehmungsstörungen trennen. Neuronale Netze erlauben ein tieferes Verständnis kognitiver Prozesse, indem sie zeigen, wie parallele, hochvernetzte Informationsverarbeitung funktioniert. Die Erkenntnis: Das Gehirn nutzt langsame, aber hochgradig vernetzte Strukturen, um in Millisekunden komplexe Entscheidungen zu treffen. Diese Lern- und Verarbeitungsmechanismen liefern Vorbilder für die KI.
3. Künstliche Intelligenz als Schlüsselwerkzeug für globale Herausforderungen
Eine Kernthese lautet: Viele der heutigen Großprobleme sind ohne KI kaum lösbar. In der Medizin etwa können KI-Modelle Hautkrebs oder andere Krankheiten besser diagnostizieren, wenn sie mit ausreichend diverser Datenbasis trainiert werden. Auch in der Klimaforschung ist KI entscheidend: Sie hilft dabei, aus Satellitenbildern riesige Baumpflanzaktionen in der Sahelzone zu überwachen und den Erfolg zu kontrollieren. Ohne automatisierte Auswertung wäre es unmöglich, Millionen neu gepflanzte Bäume individuell zu betrachten.
Ebenso ist KI in der meteorologischen Vorhersage, der Proteinfaltung, der Batterieforschung oder der Erdbebenprognose ein unverzichtbares Instrument. Komplexe Probleme wie Wasserstoffgewinnung aus dem Erdmantel, die Bekämpfung von Hungersnöten (durch verbesserte Wetter- und Erntevorhersagen) oder die Entwicklung neuer Medikamente und Materialien profitieren massiv von KI. Spitzer betont, dass KI ein Katalysator für Effizienzgewinne ist. Sie ermöglicht es, mit gleichem Ressourcenaufwand mehr Menschen besser zu versorgen oder Umweltprobleme schneller anzugehen.
4. Bildung, Digitalisierung und kulturelle Aspekte
Ein kritischer Punkt ist der Einsatz von Computern in der Schule. Spitzer verweist auf Studien, die zeigen, dass Digitalisierung im Klassenzimmer nicht automatisch zu besserem Lernen führt. Im Gegenteil: Häufig schneiden Schüler, die stark auf digitale Medien zurückgreifen, schlechter ab. Das Schlüsselwort lautet: Lehrkraft. Lehrerinnen und Lehrer, die im direkten Austausch mit wenigen Schülern Wissen vermitteln, erzielen bessere Lernergebnisse als alle digitalen Hilfsmittel. Länder wie Schweden oder Neuseeland haben nach negativen Erfahrungen Computer wieder weitgehend aus den Klassenzimmern entfernt.
Während KI in vielen Bereichen ein Gewinn ist, darf man nicht erwarten, dass sie menschliche Vermittlungspersonen in der Bildung ersetzt. Auch ethische und kulturelle Unterschiede spielen eine Rolle: Sprachen und Werte sind in KI-Modellen tief verankert. Jede Kultur möchte ihre eigene KI entwickeln, um nicht einseitig von westlichen oder anderen Wertesystemen beeinflusst zu werden. So entstehen globale und regionale Sprachmodelle, die als Werkzeuge zur Kulturvergleichsforschung dienen können.
5. Verantwortung, Regulierung und Ausblick
Ein zentraler Diskussionspunkt ist die Verantwortung: KI-Systeme treffen Entscheidungen, können aber keine Verantwortung übernehmen. Dieser bleibt stets menschlich. Das betrifft Autonomes Fahren ebenso wie medizinische Diagnosen oder militärische Anwendungen. Gerade im Militärbereich ergeben sich Dilemmata: Vollautonome Waffen wären effizienter, aber wer haftet für Fehlentscheidungen?
Spitzer plädiert für Regulierung und Achtsamkeit. Europa ist dabei Vorreiter, weil es erste Vorschriften für KI erlässt. Während die USA und China andere Wege gehen, könnte Europa mittels wertebasierter Regulierung einen Mittelweg finden, der KI nutzbar macht, ohne die Verantwortung aus der Hand zu geben.
Insgesamt ist Spitzer optimistisch: KI wird helfen, globale Probleme zu bewältigen, Krankheiten schneller zu diagnostizieren, bessere Materialien zu entwickeln, die Bildung zu verbessern (etwa bei der Analyse des Lernens selbst) und langfristig sogar Krisen zu vermeiden. Der Schlüssel liegt in bewusstem Einsatz, kluger Regulierung und der Bereitschaft, die Werkzeuge sinnvoll zu nutzen. Das Ziel ist, nicht Angst, sondern Verstehen in den Vordergrund zu stellen. So kann KI zu einem Motor für Wohlstand, Gesundheit und Stabilität werden – wenn wir verantwortungsvoll mit ihr umgehen.
Die vollständige Liste aller Energiegespräche finden Sie hier: https://energiespeicher.blogspot.com/p/energiegesprache-mit-eduard-heindl.html
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen