Dr. Martin Pache: Kernenergie – Technik, Rückbau und Zukunftsperspektiven
Das vollständige Gespräch mit Dr. Martin Pache auf YouTube.
Dr. Martin Pache, seit 22 Jahren bei Westinghouse tätig, teilt in diesem Gespräch seine fundierten Einblicke in die Kernenergie. Er studierte Allgemeinen Maschinenbau in Darmstadt, promovierte in München zur Produktentwicklung und stieg bei Westinghouse ein. Dort übernahm er Rollen in Projektleitung, Kundenbetreuung, technischem Marketing, Qualität und Sicherheit sowie als Engineering Director – mit Einsätzen in den USA, Südafrika und ganz Europa. Seit 2023 leitet er als Geschäftsführer Westinghouse Electric Germany Großprojekte zum Rückbau von Kernkraftwerken. Westinghouse Mannheim betreut Service für laufende Anlagen, den Rückbau abgeschalteter Werke und Technologien zur Behandlung radioaktiven Abfalls. Als ehrenamtlicher Sprecher des Branchenverbands KernD engagiert er sich für technologieoffene Debatten.
Vom Maschinenbau zur Kerntechnik: Eine Leidenschaft für Technik
Pache beschreibt seinen Einstieg als klassischen Ingenieurweg: Inspiriert von Lego, Schiffen und väterlicher Begeisterung für Technik, führte das Studium in Darmstadt und die Promotion in München zur Kernenergie. Ursprünglich an Automobiltechnik interessiert, lockte ein Praktikum bei ABB Reaktor – noch vor der Westinghouse-Ära – ihn in die Branche. „Ich bin sehr begeistert von der Technik, auch von dem, wie in der Kerntechnik zusammengearbeitet wird. Es ist kein knallhartes Konkurrenzgeschäft, sondern Leute, die in erster Linie von der Technik begeistert sind.“ Trotz Höhen und Tiefen wie Fukushima und politischer Wenden blieb er der Branche treu, die von Betrieb zu sicherem Rückbau überging.
Bau von Kernkraftwerken: Phasen, Herausforderungen und Serienpotenzial
Der Bau von Kernkraftwerken wird oft als endloser Prozess dargestellt – von 20 bis 40 Jahren. Pache betont die Bandbreite: Verzögerungen entstehen meist durch Genehmigungen, nicht den Bau selbst. Kostenexplosionen resultieren aus Stillstand, der Zinslasten und Lieferketten belastet: „Das Teure ist eigentlich nicht der Bau des Kraftwerks, sondern das Teure ist eigentlich der Stillstand.“ Große Komponenten wie das Reaktordruckgefäß sind gut kalkulierbar, Unsicherheiten lauern bei Beton und Gebäudetechnik. Serienbau, wie bei den deutschen Konvoiwerken, hilft enorm. Westinghouses AP1000 (Generation 3+) wurde bereits sechsmal gebaut; nach dem „Einschwingen“ sinken Kosten und Termine. In Dubai (Barakah) schafften Koreaner vier Blöcke in acht Jahren dank starkem Projektmanagement und Kleinserie – trotz Wüstenhitze und strenger Regulierung. In Europa (Finnland: Olkiluoto; Frankreich: EPR; UK: Hinkley Point) bremsen Regulierungen und fehlender Serieneffekt.
Brennelemente und Wartung: Verfügbarkeit und Langlebigkeit
Ein Mythos: Brennelemente seien nicht mehr käuflich. Pache, vor dem Bundestagsausschuss befragt, widerlegt das – Westinghouse Schweden hätte in sieben Monaten geliefert, nicht in den publizierten 1,5 Jahren. Isar 2 war ein 100-prozentiger Westinghouse-Kern; keine Neulizenzierung nötig. Das Russland-Gerücht stammt von VVER-Reaktoren (z. B. in Finnland), doch Westinghouse beliefert diese seit über 10 Jahren europäisch lizenziert. Konfigurationen variieren: Druckwasserreaktoren wie Konvoi nutzen 18x18-Raster; Sieder- oder VVER-Elemente unterscheiden sich in Form und Materialien, doch das Prinzip (Pellets in Röhrchen) bleibt gleich.
Wartung folgt drei Motiven: Obsoleszenz in der Leittechnik, Alterung durch Korrosion oder Lastwechsel. Regelmäßige Prüfungen (Ultraschall, Wirbelstrom) identifizieren Risiken; Dampferzeuger (bis 500 Tonnen, 20 m hoch) werden oft ausgetauscht – sogar in kleinen Anlagen wie Beznau (Schweiz) nach 30–40 Jahren, um Laufzeit zu verlängern. „Kernkraftwerke sind vergleichbar mit dem Haus: Wenn ich ein Haus gebaut habe, reiße ich es nicht nach 3 Jahren wieder ab.“ Ursprünglich auf 40 Jahre ausgelegt, erreichen viele 60–80 Jahre, potenziell 100 – dank hoher Sicherheitsmargen und minimaler Abnutzung bei Vollastbetrieb.
Rückbau in Deutschland: Politische Entscheidung und Reaktivierbarkeit
Deutschlands hektischer Rückbau – inklusive Kühlturmsprengungen – wirkt Pache bedingt nachvollziehbar: Es signalisiert Abschluss, doch Türme sind rekonstruierbar und nicht nuklear. Genehmigungen kamen teils erst 2024; der Abbau beginnt innen (Reaktoreinbauten unter Wasser zerlegt) nach außen. Brennelemente kühlen vier Jahre im Becken, dann trocken in Castor-Behältern. Dampferzeuger könnten dekonamiert werden, sind aber designbedingt einzigartig. Reaktordruckgefäße, nie ausgetauscht, gelten als „Ende“ – doch theoretisch machbar. Reaktivierung? „Sehr viel ist möglich“ – abhängig von Invest und Zeit (nicht Kosten). Personal fehlt nicht; Ausbildung via Simulatoren dauert gestuft 10 Jahre, doch mit Horizont reaktivierbar. Entsorgung: Kein technisches Problem, sondern Standortsuche; Aufbereitung würde 60-fach mehr Energie nutzen – absurd, 96 % Uran 238 zu vergraben.
Zukunft: Von Generation 4 bis Small Modular Reactors
KernD, ohne Betreiber, fokussiert Aufklärung: Technologie offen, begeisternd für Jugendliche. CO2-Freiheit erfordert Mix: Kernenergie als Grundlast-Partner zu Erneuerbaren (wie in Frankreich/Skandinavien) stabilisiert Netze durch Trägheit. Kosten? Variabel; Reaktivierung günstiger als Neubau, wettbewerbsfähig für Industrie (z. B. BASF: 40 TWh/Jahr). Vertrauen? Ängste durch Narrative; Aufklärung über Risiken und Fortschritte nötig – Gasrisiken und fehlende Langzeitspeicher machen Kernenergie attraktiv.
Generation 3+ (AP1000, EPR) setzt auf passive Sicherheit (Naturumlauf, kein Notstrom). Gen 4 zielt auf Abfallreduktion, höhere Temperaturen (Wasserstoff), Thorium-Betrieb – ergänzend zu Uran/Plutonium. SMRs (z. B. AP300) versprechen Serienfertigung wie Flugzeuge: Kürzere Dauern, geringeres Risiko, Harmonisierung. In 30 Jahren: Spaltung vorangetrieben, SMR-Serien, näher an Fusion – Erneuerbare in Nischen („Solar ist toll, aber die Nische ist der Tag“).
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Kernkraftwerke, Rückbau, Brennelemente, Generation 4, Small Modular Reactors